Berlin.

In Großstädten wie Berlin, Hamburg, München, aber auch kleineren Städten wie Regensburg, Tübingen oder Greifswald stellen Studenten einander gar nicht mehr die ergebnisoffene Frage, wie man denn so wohne. Die Frage lautet: „Mit wie vielen wohnst du denn zusammen?“ Da wird dann bedauert, wer eine Zahl zwischen vier und acht angibt, und der beneidet, der nur einen Mitbewohner hat.

Die Wohngemeinschaft – WG – ist in den Universitätsstädten zum Standardmodell geworden. Denn Wohnheimplätze gibt es irgendwie nie, Single-Wohnungen sind viel zu teuer – und wohnen bei den Eltern? Gott bewahre. Dann lieber die Dusche mit zehn Leuten teilen. So tickt der deutsche Student. Diese Haltung teilt er in Europa mit den Iren und Slowaken. In diesen drei Ländern ist die WG die am meisten verbreitete studentische Wohnform. In Deutschland wohnen 35 Prozent in WGs, weitere 19 Prozent teilen die Bude mit ihrem Partner oder Kindern. In der Slowakei leben 44 Prozent mit „Fremden“ zusammen, in Irland 36 Prozent.

Das sind Ergebnisse des europaweiten „Eurostudent Reports“, den das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung veröffentlicht hat. Er zeigt auch auf, wie unterschiedlich der Alltag der jungen Europäer aussieht. Trotz eines europäischen Hochschulraums, der nach dem Willen der Politik schon seit einem Jahrzehnt zusammenwachsen soll. Dass viele Befunde zur Wohnlage auch etwas über die Gestalt der Hochschulen in den Ländern aussagen, liegt auf der Hand.

Beispiel Italien: Italienische Studenten sind die Antipoden zu deutschen oder irischen. Nur 16 Prozent der studierenden Italiener kennen das WG-Leben; dagegen wohnen 75 Prozent noch bei den Eltern. Dieses Phänomen, das oft als „Hotel Mama“ beschrieben wurde, hat nicht nur damit etwas zu tun, dass es Italienern so gut gefällt, wenn jemand ihre Wäsche macht und für sie kocht. In Italien sind Wohnheime selten, in den engen Altstädten gibt es kaum kleine Wohnungen, zudem sind die Preise horrend.

Deutsche, die ihr Auslandsstudium in Italien verbringen, sind oft fassungslos, wenn sie etwa in Padua oder Bologna feststellen müssen, dass sie das Studentenwerk in WGs mit vier weiteren Kommilitonen gesteckt hat. Denn dabei handelt es sich in aller Regel um Mehrbettzimmer. Privatsphäre ist ein Luxus in Italien. Alleine zu wohnen – immerhin für 22 Prozent der deutschen Studenten normal – ist in Italien die absolute Ausnahme. Nur sechs Prozent können sich das leisten. Und noch weniger, drei Prozent, wohnen mit ihrem Partner zusammen. Hier dürfte das gesellschaftliche Klima eine Rolle spielen. Das Zusammenleben vor der Ehe ist jenseits der Alpen noch immer nicht etabliert. Für die italienischen Universitäten hat das zur Folge, dass sich noch mehr als in anderen Ländern an ihnen in erster Linie junge Leute tummeln, deren Eltern in der Nähe wohnen. Austauschstudenten können davon ein Lied singen. Sie erleben es regelmäßig, dass ihre Mitstudenten nach den Seminaren sofort nach Hause verschwinden, sie in den Studentenkneipen nur auf andere Austauschstudenten stoßen oder sie mit Glück ein paar versprengte Kommilitonen aus anderen Teilen Italiens treffen.

Italien findet sich mit seinen studentischen Wohnformen in Gesellschaft von Armenien, Russland, Georgien und Montenegro wieder. Die größten Individualisten unter den Studenten leben dagegen in Frankreich. Entweder ist das Wohnen dort noch so erschwinglich, oder der Eigensinn regiert über finanzielle Sorgen, in jedem Fall wohnen erstaunliche 37 Prozent der Franzosen allein. Eine Quote, die allenfalls in Finnland (36 Prozent) und Österreich (30 Prozent) annähernd erreicht wird.

Generell gibt es eine Relation zwischen der Quote der Alleinlebenden und dem Alter der Studenten. Die Formel lautet grob: Je mehr Studenten in einem Land allein leben, desto älter ist der durchschnittliche Student. Dies gilt allerdings wiederum nicht für Frankreich. Hier sind die Individualisten in jeder Altersgruppe in der Mehrheit.

Allein leben macht glücklich, auch das ist ein Befund der Studie. So gehört Deutschland zu jenen Ländern, in denen die jungen Menschen einen höheren Grad an Zufriedenheit angeben, wenn sie nicht bei den Eltern leben. Geradezu schrecklich scheint es für österreichische Studenten zu Hause zu sein. Die Differenz zwischen dem Grad der Zufriedenheit in Bezug auf das Mit- oder ohne-Eltern-Leben beträgt dort mehr als 20 Prozentpunkte.

Der familiäre Hintergrund spielt für die Wohnsituation eine wesentliche Rolle

Mehr als 90 Prozent der Italiener, aber auch der mamatreuen Malteser oder Serben sind mit ihrer Situation zufrieden. Die unzufriedensten Zeitgenossen leben überall in den Wohnheimen. Nur 60 Prozent tun das EU-weit gern. Dies mag etwas damit zu tun haben, dass sich in Wohnheimen überproportional viele finden, die aufgrund ihrer ökonomischen Situation gezwungen sind, eben diese, oft billigen Zimmer zu beziehen. Der familiäre Hintergrund spielt für die Wohnsituation eine wesentliche Rolle. Kinder aus Akademiker-Haushalten tendieren seltener dazu, zu Hause auszuziehen, als jene, deren Eltern kein Studium haben. Deutlicher noch unterscheiden sich die Gruppen jener, die mit ihrem Partner oder Kindern leben. 23 Prozent der Studenten ohne Akademiker-Eltern leben in dieser Lebensform, aber nur 18 Prozent aus Akademiker-Haushalten.

Überraschend scheint es, dass von den Bewohnern in Studentenwohnheimen in Deutschland eine Mehrheit Eltern hat, die ebenfalls studiert haben. Man könnte das für sozial bedenklich halten, verdienen doch Nichtakademiker schlechter als Akademiker. Doch zu dieser Schlussfolgerung lassen sich die Autoren der Studie nicht hinreißen. Auch wollen sie nicht annehmen, dass die Sprösslinge aus studiertem Haus ein behüteteres Umfeld suchen, für das man Studentenwohnheime halten könnte. Die Ursache erkennen sie in etwas anderem, einem Befund, der über die reine Analyse der Wohnsituation hinausgeht: Studenten ohne akademischen Hintergrund sind prozentual etwas älter als ihre Kommilitonen. Sie beschreiten oft nicht die direkten Wege zum Studium oder gehen gar Umwege über eine Berufsausbildung. Der „normale“ Wohnheimbewohner ist jedoch statistisch betrachtet ziemlich jung und ziemlich stark an einem stringenten Studium interessiert. Das passt nicht zum Lifestyle der Nichtakademiker, die – salopp formuliert – schon mehr vom Leben gesehen haben.