Moskau. Die Leiche Boris Nemzows lag aufgebahrt in einem Menschenrechtszentrum. Tausende nahmen Dienstag Abschied vom erschossenen Oppositionellen.

Tausende Trauernde haben am Dienstag in Moskau dem ermordeten russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow die letzte Ehre erwiesen. Die Trauernden defilierten am Sarg des im Andrej-Sacharow-Zentrum für Menschenrechte aufgebahrten Kreml-Kritikers; unter ihnen waren auch Politiker und Diplomaten aus dem Ausland. Am Nachmittag soll Nemzow auf dem Trojekurowskoje-Friedhof beigesetzt werden.

Am offenen Sarg standen die Kinder des Verstorbenen und seine Mutter Dina Eidman, die am Dienstag 87 Jahre alt wurde. Freunde, bekannte Persönlichkeiten und Fremde legten Blumen nieder. Als der Sarg später zum Friedhof gefahren wurde, säumten zahlreiche Menschen die von Polizisten bewachte Strecke und warfen Blumen auf die Straße.

„Wir sind gekommen, weil wir uns für unser Land, unser Volk schämen, dass wir so etwas geschehen ließen“, sagte einer der Trauernden, der Arzt Dmitri Afanassjew. „Putin ist schuld. Aber wir auch.“ Die Psychologin Maria Konjakowa sagte, sie habe sich Nemzow nahe gefühlt. „Er war ein Mann mit Prinzipien, ein charismatischer Mann.“ Ein anderer Trauernder, Wladimir Schlamin, sagte, der Tod Nemzows sei ein „Schock“. „Das System hat ihn umgebracht. Wir sind gegen ein System, das großartige Menschen tötet.“

Präsident Wladimir Putin blieb den Trauerfeierlichkeiten fern, ebenso Ministerpräsident Dmitri Medwedew. Dieser schickte einen Kranz und entsandte die Vizeregierungschefs Arkadi Dworkowitsch und Sergej Prichodko. Beide trugen einen Strauß roter Rosen in den Händen.

Unter den Trauernden waren auch der zur Opposition übergelaufene Ex-Ministerpräsident Michail Kassjanow und die Witwe des früheren Staatschefs Boris Jelzin, unter dem Nemzow als Vize-Regierungschef diente. Auch mehrere Politiker und Diplomaten aus dem Ausland waren unter den Trauernden. Aus Polen kam Vizeaußenminister Konrad Pawlik, aus Litauen Außenminister Linas Linkevicius und der Bürgermeister von Riga, Nils Usakovs.

Für Deutschland nahmen der Russlandkoordinator der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD) sowie der deutsche Botschafter Rüdiger von Fritsch teil. Erler sagte im ZDF-“Morgenmagazin“, er nehme an der Trauerfeier teil, „um ein Zeichen zu setzen, dass wir glauben, dass es ein anderes Russland gibt“. Es gehe ihm darum, „die Ziele von Boris Nemzow zu unterstützen“.

Dem polnischen Senatspräsidenten Bogdan Borusewicz und der lettischen Europaabgeordneten Sandra Kalniete von der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) verweigerten die russischen Behörden die Einreise. Erler sagte, dieses Verhalten sei „eine Kleinlichkeit, die man kaum nachvollziehen kann“.

Eine Sprecherin der EU-Kommission nannte die Einreiseverbote einen „klaren Bruch“ mit grundlegenden Prinzipien. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) sprach von einem „Affront gegen die Beziehungen zwischen der EU und Russland und die Arbeit demokratischer Institutionen“.

Nemzows ukrainische Lebensgefährtin Ganna Durizka kehrte unterdessen am Freitagabend in ihr Heimatland zurück. Die 23-Jährige ist die Hauptaugenzeugin des Mordes an dem Kreml-Kritiker: Sie war mit dem 55-Jährigen unterwegs, als dieser in der Nacht zum Samstag mit mehreren Schüssen in den Rücken getötet wurde. Nach eigenen Angaben wurde sie anschließend tagelang in Moskau gegen ihren Willen festgehalten. Der Sprecher des russischen Ermittlungskomitees, Wladimir Markin, wies dies am Dienstag zurück.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in Berlin, die Ermordung Nemzows sei „ein schwerwiegender Vorgang, ein trauriges Ereignis“. „Wir erwarten, dass alles daran gesetzt wird, dass dieser Mord aufgeklärt wird.“ Die Bundesregierung wolle sich dafür einsetzen, dass auch Andersdenkende „eine Chance haben, ihre Gedanken zu artikulieren“.