Brüssel.

Drei Tage nach dem Mord an dem russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow in Moskau hat der russische Außenminister Sergej Lawrow die Tat als „abscheuliches Verbrechen“ verurteilt. Laut Lawrow werden die Ermittlungen zur Aufspürung der Täter von Russlands Präsidenten Wladimir Putin persönlich geleitet. Der russische Chefdiplomat verbat sich jede Einmischung von außen. Es sei „jämmerlich“, das Attentat für „politische Zwecke zu nutzen“.

Der einflussreiche Chef des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok (CDU), zeigte sich pessimistisch mit Blick auf die Ermittlungen. „Die Aufklärung von Morden an Oppositionellen ist in Russland regelmäßig eine Farce, die Ermittlungen und Verdächtigungen sind an Abstrusität nicht zu überbieten, und ich bin ziemlich sicher, dass auch der Mord an Nemzow niemals vollständig aufgeklärt werden kann“, sagte Brok. Der leitende Ermittlungsbeamte im Fall Nemzow sei ein Studienfreund Putins: „Das dürfte für eine echte Aufklärung sicherlich nicht förderlich sein.“

Nemzow war in der Nacht zum Sonnabend auf einer Brücke in unmittelbarer Nähe zum Kreml von einem Unbekannten hinterrücks erschossen worden. Der 55 Jahre alte Politiker war eine Galionsfigur der russischen Opposition. Sie vermutet, dass der Mord im Zusammenhang mit Nemzows Kritik an Präsident Putin steht. Wenige Stunden vor seinem Tod hatte Nemzow in einem Interview mit dem regierungskritischen Sender Echo Moskwy gesagt: „Die Krise wurzelt hauptsächlich darin, dass Putin eine wahnsinnig aggressive, für unser Land und viele Bürger todbringende Politik eines Krieges gegen die Ukraine begonnen hat. Die Präsenz russischer Truppen dort ist mit Dokumenten belegt.“

Möglicherweise musste Nemzow sein Wissen mit dem Leben bezahlen. „Er hatte offenbar Beweise für militärische Aktivitäten Russlands im Krieg in der Ukraine“, sagte Brok, der Russland häufig besucht und Nemzow seit Jahren kannte. „Er hatte keine Angst, aber ihm war bewusst, dass er gefährdet ist. Er hat das Risiko bewusst auf sich genommen. Er hat trotz ständiger Einschüchterungen und Bedrohungen gekämpft und versucht, den Funken von Freiheit und Demokratie in Russland aufrechtzuerhalten.“ Nach Einschätzung Broks wurde die Oppositionsbewegung durch den Tod Nemzows geschwächt: „Das System Putin, das auch auf Einschüchterung, Bedrohung und Ermordung von Andersdenkenden beruht, ist für den Tod Nemzows verantwortlich.“ Bei der Ermordung von Oppositionellen finde man nie Verantwortliche. „Es werden immer nur Verschwörungstheorien geäußert, die ausländische Mächte für den Mord verantwortlich machen, um die eigentlich Verantwortlichen zu decken.“

Offiziell verfolgen die Ermittlungsbehörden verschiedene Spuren. Für Hinweise auf die Täter wurde eine Belohnung von drei Millionen Rubel (knapp 43.000 Euro) ausgesetzt – der monatliche Durchschnittslohn in Russland liegt bei 60.000 Rubel. Behördensprecher Wladimir Markin sagte, man ginge in erster Linie von einem politischen Auftragsmord aus, um die innenpolitische Lage in Russland zu destabilisieren. Die Fahnder halten es aber auch für möglich, dass außer Kontrolle geratene Kräfte in der Ukraine, die Russland schaden wollten, oder sogar islamistisch-extremistische Kräfte für den Mord verantwortlich seien. Markin betonte, es würden aber auch die geschäftlichen Kontakte des ehemaligen Vizeregierungschefs unter Präsident Jelzin untersucht.

Brok kritisierte die Kreml-Führung unterdessen scharf: „Hätte Putin eine demokratische und pluralistische Gesellschaft in Russland zugelassen, hätte es den Mord an Nemzow nicht gegeben. Jeder, der sich kritisch zu Putin äußert, ist ein Vaterlandsverräter.“ Russische Oppositionelle wie Alexej Nawalny, Michail Kasjanaow und Garin Kasparow seien „akut bedroht“, so Brok. „Der Mord an Nemzow zeigt, dass diese mutigen Männer die nächsten Opfer sein können.“ Sie seien sich dessen bewusst, Kasparow lebe darum weitgehend im Ausland. „Kasjanaow wird nach der Ermordung Nemzows vermutlich die Führung der Partei der Volksfreiheit (Parnass) übernehmen, und er ist dann natürlich in besonderer Gefahr. Laut Brok wird die Machtkonzentration in Russland immer größer. „Russland ist jetzt auf dem Weg zur Diktatur.“ Der Westen müsse nun zeigen, dass seine Werte erfolgreicher sind als die „Autokratie in Russland“. Brok: „Wir befinden uns heute wieder in einem ideologischen Kampf mit Russland, in einem neuen Kalten Krieg. Russland ist eine aggressive Macht, die militärisch tätig wird und gleichzeitig versucht, im Westen Einfluss zu nehmen. Was früher der Kommunismus war, ist heute ein sakral angehauchter Nationalismus, der nichts mit demokratischen Werten zu tun hat.“

Der CDU-Politiker forderte, die Ukraine mit ausreichend finanziellen Mitteln zu unterstützen. „Europa braucht eine freie Ukraine.“ Er fügte hinzu, dass nun alles getan werden müsse, um das Minsker Friedensabkommen zu verwirklichen: „Wenn das Minsker Friedensabkommen nicht umgesetzt wird und Russland weiterhin in der Ostukraine militärisch tätig sein wird, dann werden die Vereinigten Staaten, aber wohl auch mehrere EU-Länder in Kürze nicht mehr länger warten, defensive Waffen an die Ukraine zu liefern, damit sich die ukrainischen Soldaten besser verteidigen können. Die EU hat ausdrücklich beschlossen, dass es jedem Mitgliedsland freisteht, ob es Waffen liefert oder nicht. Putin weiß dies und wäre für die neue Eskalationsstufe verantwortlich.“