Verden.

Um 10.25 Uhr endet im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Verden, was nie begonnen hat: Sebastian Edathy gesteht und zahlt, um sich einen Prozess und eine mögliche Vorstrafe zu ersparen. Mit einer Überweisung von 5000 Euro an den niedersächsischen Kinderschutzbund und dem öffentlichen Geständnis, dass er einen Fehler begangen hat und ihn bereut, entkommt Edathy den deutschen Gerichten – aber nicht dem Untersuchungsausschuss des Bundestags. Was der Vorsitzende Richter anerkannte – nicht vorbestraft, geringe Schwere der Schuld, „jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient“ –, wird im politischen Gewerbe nicht gelten. Der Politiker Edathy ist verbrannt, der Bürger erduldete die Verfemung durch die öffentliche Meinung. Ob er in Deutsch-land weiterleben und arbeiten kann, weiß niemand.

Wenige hatten darauf gewettet, dass der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete sich zu einer „glaubhaften geständigen Einlassung“ entschließen könnte. Mehr als ein Jahr lang hatte Edathy jede Schuld von sich gewiesen. Schon vor eineinhalb Jahren, so beharrte sein Verteidiger Christian Noll nach Ende des Verfahrens, hätte es zu diesem Vergleich kommen können. Das mag für den Berliner Anwalt gelten, es ist fraglich, ob ihm sein Mandant gefolgt wäre. Und selbst nach Ende der Verhandlung verbreitete Edathy juristische Spitzfindigkeiten. So machte er auf Facebook darauf aufmerksam, kein „Geständnis“ abgelegt zu haben.

Edathys Hochmut ist unter früheren Genossen wie unter Freunden berüchtigt. Von seinen Gegnern in der eigenen Partei ganz zu schweigen. Noll muss ihn in der vergangenen Woche mit Engelszungen beschworen haben, sich das Spektakel zu ersparen, kinderpornografische Bilder und Filme der Öffentlichkeit feilzubieten. Noch sind für alle, die diesen Sexsklaven-Schwarzmarkt nicht aus eigener Anschauung kennen, die Szenen abstrakt abstoßend. Ihre voyeuristische Ausbeutung hätte Edathy endgültig zum Ausgestoßenen gemacht. Der Vergleich wird nicht jedem gefallen.

Dazu zählt eine gewisse Frau Finke, die dem Vorsitzenden Richter Jürgen Seifert ins Wort fiel, als dieser gerade den Vergleich mit allen Prozessbeteiligten abstimmen wollte. Sie habe, rief die Dame von der letzten Zuschauerbank gereizt, am Morgen einen hilfsweisen Beweisantrag gestellt. Sie verfüge nämlich über „Tatsachen, die den Ausgang des Verfahrens beeinflussen können“. Sie verlange einen fairen Prozess, es gehe vor allem um den angeblich gestohlenen Laptop Edathys.

Man muss die Geduld des Vorsitzenden Richters bewundern, der die Frau nach mehreren fruchtlosen Unterbrechungsversuchen („Sie fliegen gleich hochkant raus!“) weitgehend leerlaufen ließ. Die Kammer werde brieflich auf die „unzulässige und unbegründete Einlassung“ antworten.

Es sei der Staatsanwaltschaft nie um ein Nachtreten oder blinde Ermittlungen ohne Abwägung der Verhältnismäßigkeit gegangen, sagte Oberstaatsanwalt Thomas Klinge in einer Prozesspause. „Einen Kotau, Reue erzwingen? Quatsch!“, das sei nicht sein Job gewesen. Es sei allein um das öffentliche Interesse gegangen. Er habe die Beweisaufnahme nicht zu fürchten gehabt.

Seltsam mutete an, wie der Vorsitzende Richter nun die losen Enden des Verfahrens befestigen musste. Es galt, noch zwei Anträge zu klären und die bei Edathy sichergestellten Asservate zu sortieren. Ob er denn seinen Besitz, darunter Bildbände mit Titeln wie „Boys in ihrer Freizeit“ und „Adam Junior“ zurückzuerhalten wünsche? Nur Musik-CDs, seine Playstation, die Familienbibel hätte er gerne zurück, sagte Sebastian Edathy. Leise, sein Mikrofon funktionierte nicht.

In einer Art Schlusswort kam der Richter endlich auf die Menschen zu sprechen, die zu den Opfern Edathys und jedes Nutzers kinderpornografischen Materials zählen. Kinder und Jugendliche in aller Welt, deren Würde und Entwicklung erheblich geschädigt werde, wie Jürgen Seifert zu bedenken gab. Dieser schwere Missbrauch an Kindern sei kein Kavaliersdelikt. Und es sei richtig, dass nach der Reform der einschlägigen Paragrafen nun drei Jahre Freiheitsstrafe auf den Besitz kinderpornografischen Materials stünden. Am Ende wünschte er Eda­thy für die Zukunft alles Gute. So gehört sich das bei geständigen Ersttätern.

Die SPD-Spitze forderte Edathy nach dem Ende des Verfahrens zum Parteiaustritt auf. „Wir erwarten, dass er die SPD verlässt“, sagte SPD-Vizechef Thorsten Schäfer-Gümbel nach einer Sitzung des Parteivorstands. „Wir sind nach wie vor fassungslos darüber, dass Sebastian Edathy keinerlei Reue erkennen lässt und sich mit keinem Wort an die Opfer wendet. Wir halten sein Verhalten nicht für vereinbar mit unseren Grundwerten.“

Parallel zum Aufruf zum Parteiaustritt werde die SPD das Ausschlussverfahren gegen Edathy fortsetzen. Die Angelegenheit liege derzeit vor der Schiedskommission des SPD-Bezirks Hannover. Die SPD hatte das Verfahren gegen Edathy vor einem Jahr eingeleitet, nachdem die Kinderpornografievorwürfe bekannt geworden waren. Für die Dauer des Verfahrens war es ausgesetzt worden. Schäfer-Gümbel verwies darauf, dass ein Parteiausschluss juristisch sehr aufwendig sei: Es gebe „hohe individuelle Schutzrechte“.

Der Kinderschutzbund Niedersachsen, dem die 5000 Euro Strafzahlung zugutekommen, kritisierte das Verfahren. „Glücklich kann man darüber überhaupt nicht sein, weil es da um eine der widerlichsten Formen der Ausbeutung von Kindern geht“, sagte der Vorsitzende des Kinderschutzbundes, Johannes Schmidt. „Für 5000 Euro ist die kinderpornografische Dimension dieses Verfahrens einfach vom Tisch gewischt. Die juristische Bewertung ist das eine. Die Botschaft, die auch durch Herrn Edathy geschickt wird, ist aber eine andere: Für 5000 Euro ist dieses Thema zu erledigen, wenn man vorsichtig damit umgeht.“