Berlin.

Horst Seehofer ist – um mit Heinz Erhardt zu sprechen – ein „kleiner Leut“. Er stammt aus kleinen Verhältnissen, ohne Studium und mit viel Fleiß arbeitet sich der Sohn eines Lastwagenfahrers bis nach oben. Heute steht Seehofer einer Partei vor, die er als „Schutzmacht der kleinen Leute“ bezeichnet. Politik könne gar nicht falsch liegen, wenn sie sich in erster Linie an die kleine Leute richte, sich an ihnen orientiere. Das ist seine Überzeugung. Dieser bleibt Seehofer treu. Beim Treffen der Koalitionsspitzen am Dienstag hat Seehofer vollkommen überraschend und unabgesprochen mit wichtigen eigenen Ministern den Kompromiss für ein Gesetz zur energetischen Gebäudesanierung abgelehnt. Der Grund: Um die steuerliche Förderung neuer Fenster, neuer Heizkessel oder Wärmedämmung gegenzufinanzieren, sollte der Handwerkerbonus abgeschmolzen werden.

Der kommt, anders als es der Name suggeriert, nicht direkt den Handwerkern zugute. Sondern er begünstigt jene, die sich einen Handwerker ins Haus holen. Geben Hinz und Kunz Geld für Handwerkerleistungen aus, so können sie die bei der Steuererklärung angeben. Der Plan war nun, dass Summen unter 300 Euro nicht mehr angerechnet werden sollten. Dafür setzte sich vor allem die SPD ein. Doch das hätte in den Augen Seehofers eben seine Hauptzielgruppe belastet: die kleinen Leute und mittelbar natürlich auch die Handwerker selbst, die Auftragsrückgänge befürchten müssten. Das bayerische Finanzministerium hat berechnet, dass im Bundesland 1,6 Millionen Steuerfälle betroffen gewesen wären, bundesweit sogar neun Millionen.

Deshalb versucht Seehofer seit Monaten, diese Koppelung zu verhindern. Für einen hohen Preis. Er opfert ihr die Energiewende. Zumindest verzögert er sie erneut. Darüber hinaus zieht er sich wieder den Vorwurf der Unberechenbarkeit zu. „Kamikaze-Horst Seehofer schlug zu“, twitterte Grünen-Chefin Simone Peter. Der Bundesverband der Deutschen Industrie erklärt: „Die Entscheidung der Koalition wirft uns bei der Umsetzung der Energiewende weit zurück.“ Doch auch in der CSU herrschte zunächst Ratlosigkeit. Nicht abgesprochen sei das, hieß es in den betroffenen Ministerien in Bayern. Später schaltete die CSU einen Gang zurück und erboste sich lieber über die SPD. Deren Fraktionschef Thomas Oppermann hatte in einem Brief seiner Fraktion mitgeteilt, dass Bayern weiter eine „Blockade der Energiewende“ betreibe.

Damit baue Oppermann einen „Popanz“ auf, sagte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. „Die CSU hat das Thema energetische Gebäudesanierung in dieser Wahlperiode überhaupt auf die Agenda gesetzt. Und es bleibt für uns weiterhin ein wichtiges Anliegen“, sagte sie. Die Gebäudesanierung an den Handwerkerbonus zu koppeln, wie es die SPD tue, sei aber grundfalsch. „Beides hat miteinander nichts zu tun und eignet sich nicht für eine Kompensation.“ Hasselfeldt fordert die Länder auf, ihren Beitrag zur Finanzierung der Gebäudesanierung zu leisten.

Die Förderung der Gebäudesanierung durch Privatleute wird als eine der wichtigsten Säulen der Energiewende angesehen. Schon Schwarz-Gelb versuchte sich an einem solchen Gesetz, scheiterte aber im Bundesrat. Bayern war eine der treibenden Kräfte, um es durchzusetzen. Noch im August sagte Seehofer bei einem Besuch einer Firma im Mainburg: „Keine Energiewende ohne Wärmewende.“ Wie ernst es Seehofer bis vor Kurzem noch mit dem Gesetz war, zeigt ein Beschluss seines Ministerrats vom 2. Dezember. In dem Papier erklärt sein Kabinett für den Fall, dass sich Hessen und Sachsen, die Bayern auf seiner Seite sieht, nicht durchringen können, den eigenen Gesetzesantrag des bayerischen Wirtschaftsministeriums in den Bundesrat einzubringen. Damit sollte die schnelle Umsetzung gefordert werden.

Wenige Tage später, am 11. Dezember, trafen sich die Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel. Man einigte sich darauf, die Maßnahme mit dem Abschmelzen des Handwerkerbonus zu verknüpfen. Hier hätte Seehofer den Showdown im Koalitionsausschuss verhindern können. Aber er war nicht da. Er war krank. Bayern gab lediglich eine Protokollerklärung ab.

Seehofers aktuelle Entscheidung passt in das Bild seiner Grundskepsis gegenüber den geplanten Maßnahmen der Energiewende. So verhindert er seit Monaten die Entscheidung zum Bau neuer Stromtrassen. Bürgerinitiativen wenden sich gegen die vermeintliche Verschandelung der Landschaft. Auch an der Gebäudedämmung gibt es wachsende Zweifel. Abgesehen von der Frage der Haltbarkeit und der Kosten-Nutzen-Rechnung geißeln immer mehr Bürger den „Dämmwahn“ als Verunstaltung der Stadtbilder. Ob dieses Motiv für Seehofers Entscheidung eine Rolle gespielt hat, will niemand in seinem Umfeld beantworten. Den Dämmgegnern gilt er jedenfalls als Held.