Betroffene Kirchen oder Vereine sollen Kosten für Therapien erstatten. Christine Bergmann für freiwillige Entschädigungen – aber nach festen Regeln.

Berlin. Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Christine Bergmann, empfiehlt finanzielle Hilfen und Entschädigungen für Opfer sexuellen Missbrauchs. Betroffene Institutionen wie Kirchen oder Vereine sollen zumindest Kosten für Therapien erstatten, die nicht von anderen Trägern wie Krankenkassen übernommen werden. Der Bund soll dabei für Therapiekosten der Opfer aufkommen, die in Familien missbraucht wurden. Ein unabhängiges Gremium soll über die Anträge von Betroffenen entscheiden. Das erklärte Bergmann bei der Vorstellung ihres Abschlussberichtes in Berlin.

Zudem empfiehlt Bergmann, dass die betroffenen Einrichtungen auch finanzielle Entschädigung zahlen. Dies soll auf freiwilliger Basis, aber nach gewissen Standards geschehen. Bergmann sprach von einer „angemessenen Anerkennungssumme“, nannte aber keine konkrete Zahl. Die Beauftragte regte jedoch an, dass sich die Beträge an dem gerichtlich erzielbaren Schmerzensgeld zum Zeitpunkt des Missbrauchs orientieren sollen. Dies könnten theoretisch bis zu 50.000 Euro je Fall sein. Sowohl die Übernahme von Therapiekosten als auch die Entschädigungen empfiehlt Bergmann für bereits verjährte Fälle.

Beschlossen ist damit aber noch nichts, denn die Empfehlungen gehen jetzt erst einmal an den Runden Tisch zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs. Das letzte Wort hat dann die Politik. Die Bundesregierung richtete den Runden Tisch Anfang 2010 ein, nachdem immer mehr Missbrauchsfälle in Kirchen und anderen Institutionen bekannt geworden waren. Das Gremium mit Vertretern aus Politik, Kirchen und Verbänden soll bis Ende 2011 arbeiten.

Lesen Sie auch das Abendblatt-Dossier über Missbrauch

Missbrauchsskandal: Die Kirche im Schatten der Vergangenheit

Bergmann hat außerdem gefordert, dass das Leid der Opfer sexuellen Missbrauchs stärker als bisher anerkannt wird. „Das ist den Betroffenen am wichtigsten, die lange schweigen mussten“, sagte Bergmann im ARD-Morgenmagazin. Die zweitwichtigste Forderung, auch von den Betroffenen, sei nach den Worten Bergmanns: „Kümmert euch darum, dass das den Kindern heute nicht mehr passiert.“ Am meisten habe sie während ihrer Arbeit das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs in der Gesellschaft überrascht, sagte Bergmann. Zudem habe sie erfahren können, wie weit die Folgen für die Opfer gehen. „Bei uns haben sich so viele Menschen gemeldet, da liegt der Missbrauch Jahrzehnte zurück. Man merkt die Wunden noch, man erfährt, wie viel im Laufe des Lebens schief gelaufen ist.“

Die Opfervereinigung „Eckiger Tisch“ forderte mehr Betreuungsmöglichkeiten für die Betroffenen. „Wir tun sehr viel für die Prävention – das ist sehr gut“, sagte der Sprecher Matthias Katsch im Inforadio. Bei der Betreuung gebe es aber noch Defizite. Katsch sprach sich für Entschädigungszahlungen aus, auch wenn diese nicht aufwiegen könnten, was den Opfern an Lebensenergie genommen wurde. (dpa/abendblatt.de)