Grüne und SPD wittern die Chancen für einen Volksentscheid. Steht das Milliarden-Projekt Stuttgart 21 nach der Wahl bereits vor dem Aus?

Berlin. Ist das schon die Chronik eines angekündigten Todes? Kaum haben Baden-Württembergs Bürger sich für eine grün-rote Regierung unter dem designierten Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann entschieden, scheint die Deutsche Bahn das Mega-Projekt Stuttgart 21 schleichend beerdigen zu wollen. Die Bahn (DB) hat einen Bau- und Vergabestopp für das umstrittene Projekt erlassen. „Bis zur Konstituierung der neuen Landesregierung wird die DB beim Bahnprojekt Stuttgart 21 keine neuen Fakten schaffen – weder in baulicher Hinsicht noch bezüglich der Vergabe von Aufträgen“, sagte Bahn-Infrastrukturvorstand Volker Kefer. Kefer hatte vehement für Stuttgart 21 und die Investitionen von 4,1 Milliarden Euro geworben. Der Bahnvorstand hatte in der Schlichtung von Heiner Geißler die Argumente für den neuen Bahnhof und die Neubaustrecke Ulm–Wendlingen überzeugend vorgetragen. Geißler sprach sich für ein modifiziertes Stuttgart 21 und einen Stresstest aus.

Die Bahn wies allerdings darauf hin, dass unabhängig vom Bau- und Vergabestopp der mit den Projektpartnern geschlossene Vertrag uneingeschränkt gelte. „Schließlich ist das Land Baden-Württemberg und nicht die jeweilige Landesregierung unser Vertragspartner“, erklärte Kefer. Es werde zudem weiterhin mit Hochdruck an dem im Schlichterspruch vereinbarten Stresstest gearbeitet.

Der soll in einer mehrmonatigen Simulation nachweisen, dass der geplante unterirdische Durchgangsbahnhof um 30 Prozent leistungsfähiger ist als der aktuelle Kopfbahnhof in Stuttgart. Gegebenenfalls müsse die Zahl der Gleise von acht auf zehn erweitert und die Zufahrt zum Flughafen zweigleisig ausgebaut werden, erklärte Geißler am Ende der Gespräche zwischen Projektgegnern und -befürwortern. Üblicherweise berechnet die Bahn die Kapazität von Bahnprojekten nur auf Grundlage der in etwa zu erwartenden Taktfrequenzen.

Geißler hatte sich für ein Stuttgart 21 Plus ausgesprochen, das leistungsfähiger, sicherer und ökologischer als das derzeitige Konzept sein müsse. Der Schlichterspruch ist nicht bindend, die Projektträger hatten jedoch erklärt, ihn umsetzen zu wollen. Bei dem Bahnprojekt soll der Kopfbahnhof in eine unterirdische Durchgangsstation umgebaut werden. Welche Kosten durch den Bau- und Vergabestopp entstehen, kommentierte die Bahn nicht.

Der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid zeigten sich erfreut über den Schritt der Bahn. „Es ist nur folgerichtig, dass in der derzeitigen Situation keine weiteren Fakten geschaffen werden dürfen. Wir müssen wissen, welche Auswirkungen der Stresstest auf das Projekt hat. Und danach muss das Volk über das Projekt entscheiden.“

SPD und Grüne hatten nach ihrem Wahlsieg angekündigt, sich für einen Baustopp einzusetzen, bis der in der Schlichtung vereinbarte Stresstest im Sommer vorliegt. Sobald alle Fakten zu Stuttgart 21 auf dem Tisch liegen, wollen beide Parteien eine Volksabstimmung über das Projekt durchführen lassen. Die Grünen lehnen das Projekt ab, die SPD hingegen möchte Stuttgart 21 bauen lassen.

Für den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) zeigt der Schritt, „dass die Bahn kooperativ mit der neuen Landesregierung zusammenarbeiten wird“. Ob mit dem Baustopp das endgültige Aus des Projekts näher gekommen sei, wollte Palmer nicht prognostizieren. „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“ Allerdings sei der Bau- und Vergabestopp nur sinnvoll, wenn die Bahn auch über eine Alternative mit einem Kopfbahnhof nachdenke.

Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) zeigte sich trotz des Baustopps überzeugt, dass die Bahn die geltenden Verträge einhalte. „Die Bahn muss jetzt im gemeinsam vereinbarten Stresstest die Leistungsfähigkeit des Bahnhofs unter Beweis stellen, danach Stuttgart 21 Plus zügig weiterbauen“, sagte Schuster.

Der Stopp von Stuttgart 21 und ein übereilter Atomausstieg würden nach Einschätzung von Hugo-Boss-Chef Claus-Dietrich Lahrs die Wirtschaft im Südwesten empfindlich treffen. „Die Stadt Stuttgart braucht einen modernen Bahnhof. Das Land Baden-Württemberg braucht eine moderne, gesicherte Energieversorgung. Solche Dinge infrage zu stellen, wäre gleichzusetzen mit der Infragestellung des Standorts an sich“, sagte der Vorstandsvorsitzende des Modekonzerns der Nachrichtenagentur dpa. Die neue Regierung übernehme ein Bundesland, das zu den Wirtschafts-Schwergewichten in Europa zähle. „Damit vernünftig umzugehen und das, was sich an modernen Wachstumschancen in diesem Land befindet, nicht zu gefährden, ist eine ganz wichtige Aufgabe für die Regierung.“ Ein neuer Bahnhof sei entscheidend für den Wirtschaftsstandort. „Für mich ist ein Bahnhof ein Zeichen von Mobilität, von Modernität und auch von extrem guter Verbindung“, sagte Lahrs. (abendblatt.de/dapd/dpa)