Beim “Meilenstein“ während des Nato-Gipfels wurde angekündigt, dass der Abzug der Truppen aus Afghanistan bis 2014 erfolgen soll.

Hamburg/Lissabon. Die deutsche Kanzlerin hatte schon im Vorfeld von einem "Meilenstein" gesprochen, der dänische Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen gar von einem der wichtigsten Gipfel in der gesamten Geschichte der Atlantischen Allianz. Das zweitägige Treffen der Staats- und Regierungschefs der Nato im portugiesischen Lissabon markiert in mehrfacher Hinsicht einen Wendepunkt.

Überschattet von der hartleibigen Weigerung der Republikaner in den USA, den START-Abrüstungsvertrag mit Russland ratifizieren zu wollen, befasste sich die Tagung mit der Annäherung an Moskau - und beschloss am Freitagabend die von Rasmussen skizzierte Strategie für das westliche Bündnis. "Dieser Gipfel wird in die Geschichte eingehen", sagte Angela Merkel.

Es ist das dritte Mal seit dem Ende des Kalten Kriegs, dass sich die Nato aufgrund veränderter sicherheitspolitischer Parameter zu einer grundlegenden strategischen Reform veranlasst sieht. 1991 beschloss man in Rom - nicht eben zur Freude Moskaus - die Vorneverteidigung, um dem neuen Sicherheitsbedürfnis der ehemaligen Satelliten Russlands in Osteuropa Rechnung zu tragen. 1999, angesichts des Kosovo-Kriegs, verständigte man sich auf "Krisenreaktionseinsätze" auch außerhalb des Bündnisgebiets.

Diesmal geht es vor dem Hintergrund des Afghanistan-Kriegs um "vernetzte", also zivile und militärische Ansätze zur Lösung derartiger Krisen, um die Abwehr von Internetangriffen auf strategische Computernetze - und um die Einbindung Moskaus in das ursprünglich von den USA allein geplante Raketenabwehrsystem.

Die Nato erhofft sich vom Besuch des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew schon an diesem Sonnabend, dem zweiten und letzten Tag des Gipfels, eine Zusage, die Beteiligung an dem Projekt zumindest ernsthaft zu prüfen. Und Medwedew hofft auf eine Freundschaftsdividende. Den ursprünglichen Plan der USA, Abwehrraketen ungeachtet russischer Proteste kurzerhand in Polen und Tschechien zu stationieren, hatte US-Präsident Obama fallen lassen. Ein Scharmützel am Rande zwischen Berlin und Paris konnte weitgehend beigelegt werden. Die Deutschen wollten, dass das Raketenabwehrsystem mit nuklearer Abrüstung in Europa verbunden werde, die atomar bewaffneten Franzosen waren natürlich dagegen. So wurde eine Kompromissformel gefunden, die sowohl die nukleare Abschreckung aufrechterhält als auch Abrüstung ermöglicht.

Beherrschendes Thema neben Strategie und Raketenabwehr war der für 2011 angekündigte Beginn des Abzugs der Nato-Truppen aus Afghanistan und die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an Militär und Polizei des Landes. In Lissabon hieß es dazu, der Prozess des Abzugs solle bis 2014 abgeschlossen sein. Obama versicherte allerdings dem ebenfalls anwesenden afghanischen Präsidenten Hamid Karsai, die Afghanen würden auch nach 2014 "nicht allein dastehen". Nato und USA würden an einer "dauerhaften Partnerschaft mit Afghanistan arbeiten". Rasmussen sprach am Freitag von einer "neuen Phase der Afghanistan-Mission". Die Staats- und Regierungschefs der 28 Nato-Länder und Karsai wollten den Übergabeprozess am Sonnabend formell besiegeln. Rasmussen merkte an, der Fortgang des Abzugs sei aber abhängig von den Fortschritten der Afghanen beim Aufbau ihres Sicherheitsapparats. Der Einsatz ende erst, "wenn die Afghanen in der Lage sind, selber Verantwortung zu übernehmen".

Obama schrieb in einem Beitrag für die "International Herald Tribune": "Die Afghanen werden aufstehen und die Dinge selbst in die Hand nehmen, aber sie werden nicht alleine sein." Die Bundesregierung will im Gegensatz zu den USA erst 2012 mit dem Truppenabzug beginnen. Derzeit sind 5.000 deutsche Soldaten am Hindukusch stationiert - mehr als je zuvor.

Die internationale Schutztruppe Isaf war in diesem Jahr massiv aufgestockt worden, vornehmlich durch US-Truppen. 150.000 Soldaten aus 48 Ländern sind derzeit in Afghanistan stationiert, darunter 100.000 Amerikaner.