Telekom-Chef Timotheus Höttges: „Die erste Halbzeit der Digitalisierung haben wir in Europa verloren“. Vom Silicon Valley ist der IT-Gipfel Hamburg noch weit entfernt.

Hamburg. Der IT-Gipfel 2014 in Hamburg brachte die übliche Aufbruchstimmung in der Politik, die mahnenden Worte der Wirtschaft und der Experten und ein bisschen Protest wegen des Umgangs der Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel mit der NSA-Spionageaffäre.

Und der Gipfel zeigte die digitale Botschafterin der EU-Kommission, Prof. Gesche Joost, kritisch: Deutschland habe großen Nachholbedarf in der digitalen Bildung, so Joost. Sie sagte in einem Interview mit der Plattform it-gipfelblog.de, digitale Bildung laufe in anderen EU-Ländern teilweise schneller und besser oder sei ein größeres Thema. Vor allem in England geschehe viel, sagte Joost. Dort setzten vor allem öffentliche Institutionen Programmierkenntnisse auf die Agenda.

Gleichzeitig jedoch hat die Bundesregierung ihre Pläne für die Förderung der Digitalwirtschaft konkretisiert. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) kündigte an, internetbasierte Dienstleistungen finanziell zu fördern.

Das Wirtschaftsministerium will 50 Millionen Euro in das Projekt „Smart Service Welt“ stecken. Gleichzeitig soll mit großem Aufwand die deutsche Wirtschaft auf die Herausforderungen durch die Digitalisierung der klassischen Industrie vorbereitet werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) versprach, die Finanzierungsbedingungen für Start-ups zu verbessern. Gleichzeitig forderte sie die Wirtschaft auf, selbst ein Wagnis einzugehen. Es könne sein, dass staatliche Anreize nicht ausreichten, um das herzustellen, was man beispielsweise in den USA sehen könne. „Auch im Silicon Valley geht es ohne Risiko nicht“, sagte Merkel über die Hochburg der Internetszene in den USA.

Gabriel sagte, die Bundesregierung wolle ein neues Börsensegment für die Finanzierung von Start-ups einrichten. Bei der „Börse 2.0“ müssten allerdings die Lehren aus dem Zusammenbruch des „Neuen Marktes“ berücksichtigt werden. Es gebe bereits Gespräche mit der Deutschen Börse. Einen konkreten Zeitplan für die Einrichtung eines neuen Finanzmarktplatzes für Startups konnte Gabriel allerdings nicht nennen.

Die Konkurrenz von Google und Amazon ist gewaltig

Mit ihrem Maßnahmenpaket reagiert die Bundesregierung unter anderem auf den Erfolg von weltweiten digitalen Vorreitern wie Amazon und Google, die vor allem mit leicht bedienbaren Diensten bei ihren Kunden punkten. „Insbesondere die traditionell starken Industriezweige wie Maschinenbau, Elektrotechnik und Automobilbau sollen stärker in diesen Dialog einbezogen werden“, sagte Gabriel.

Im Bereich intelligente Dienstleistungen lägen große Wachstumspotenziale. Bis zum Jahr 2017 werde die Bundesregierung insgesamt fast eine halbe Milliarde Euro an Fördermitteln für die Digitalwirtschaft bereitstellen. Von dem Geld sollen auch fünf Kompetenzzentren für den Mittelstand finanziert werden, die Wissen über die Chancen und Herausforderungen der „Industrie 4.0“ vermitteln sollen. „Wenn 70 Prozent des Mittelstands bei einer Umfrage sagen, IT betrifft sie nicht vorrangig, ist das besorgniserregend“, betonte Gabriel.

„Ein Nacktbild gehört nicht in die Cloud“

Der Chef der Deutschen Telekom, Timotheus Höttges, sagte: „Die erste Halbzeit der Digitalisierung haben wir in Europa verloren“. Auch er setzte sich für verstärkte Anstrengungen ein, um eine „Industrie 4.0“ überhaupt möglich zu machen. Mit diesem Schlagwort wird die vernetzte, digitalisierte Wertschöpfung bezeichnet.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) warnte auf dem Gipfel davor, online zu viele Daten preiszugeben. „Ein Nacktbild gehört einfach nicht in die Cloud“, sagte de Maizière in der Handelskammer. Man müsse „nicht alles im Internet erledigen“.

Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz, warf der Bundesregierung vor, das Thema der Netz-Überwachung der Geheimdienste auf dem IT-Gipfel totzuschweigen. Stefan Körner, der Bundesvorsitzende der Piratenpartei, sprach von einem „exklusiven Treffen der Wirtschafts- und Politikbosse“. „Der IT-Gipfel hat sich in dieser Form überlebt, und alle Beteiligten tun gut daran, ihn aufzugeben oder in Zukunft den Prinzipien und Funktionsweisen der digitalen Gesellschaft anzupassen“, sagte Körner. Der kommende IT-Gipfel wird nach den Worten von Merkel in Berlin stattfinden.

Neuer Datenskandal am Rande

Gleichzeitig wurde ein mutmaßlicher Datenskandal bekannt, in den die Betreiber von Parkhäusern verwickelt sein sollen. Auch in Hamburg werden offenbar Tausende Autokennzeichen gespeichert.

Am Rande des IT-Gipfels demonstrierten prominente Hamburger Rechtsanwälte gegen die Politik der Bundesregierung in Sachen NSA-Affäre. Unter ihnen waren der Grünen-Politiker Konstantin von Notz sowie der Ex-Bundestagsabgeordnete Burkhardt Müller-Sönksen (FDP).

Die Demonstranten teilten mit, die Polizei habe ihnen erlaubt, unmittelbar am Eingangsportal der Hamburger Handelskammer zu demonstrieren. Deshalb habe die Bundeskanzlerin an ihnen vorbeihegen müssen. „Wir hoffen hiermit ein kleines, aber wahrnehmbares Zeichen dafür gesetzt zu haben, dass unsere Bürgerrechte und Demokratie mit Taten - und nicht mit Alibi-Veranstaltungen - verteidigt werden muss“, so die Demonstranten.

Sie forderten Aufklärung von der Bundesregierung in der NSA-Affäre. Der Bundesnachrichtendienst und die NSA sollen vor zehn Jahren ein gemeinsames Abkommen zur Abschöpfung des Internetknotens DeCix in Frankfurt mit Hilfe der Deutschen Telekom AG geschlossen haben. Dabei seien Grundrechtsverletzungen von Deutschen in Kauf genommen worden.