Das Buhlen und der leidenschaftliche Einsatz von Politikern wie Premier Cameron scheinen Wirkung zu zeigen. Bei der Abstimmung am 18. September wird dennoch ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet.

London. Bei dem Referendum über eine Unabhängigkeit Schottlands führt das Lager der Gegner einer Abspaltung laut einer neuen Umfrage wieder knapp. Wie aus der am Donnerstag veröffentlichten Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov hervorgeht, würden 52 Prozent gegen die Unabhängigkeit stimmen, 48 Prozent wären dafür.

Am Samstag hatten die Befürworter einer Abspaltung Schottlands zum ersten Mal in einer Umfrage eine Mehrheit erreicht – das Ergebnis hatte die Londoner Politik alarmiert. Am Mittwoch appellierten die Vorsitzenden der drei wichtigsten britischen Parteien eindringlich an die Schotten, gegen eine Abspaltung zu stimmen. Ein Auseinandergehen der britischen Nationen „würde mir das Herz brechen“, sagte Premierminister David Cameron in Edinburgh. Auch der Liberalen-Chef Nick Clegg und Oppositionsführer Ed Miliband wandten sich leidenschaftlich gegen eine Abspaltung.

Die Schotten stimmen am 18. September per Referendum über die Loslösung von Großbritannien ab. Bei einem Sieg des „Ja“-Lagers wird damit gerechnet, dass es rund 18 Monate dauern würde, bis Schottland formal unabhängig wäre. Britische Medien spekulieren über einen Rücktritt Camerons, sollte er ein Ende der mehr als 300 Jahre währenden Union mit Schottland verantworten müssen.

Unabhängigkeit Schottlands hätte weitreichende Folgen

Müsste ein unabhängiges Schottland die Europäische Union verlassen?

Ja. Das haben EU-Vertreter mehrfach klargestellt. „Wenn ein Teil des Territoriums eines Mitgliedstaats aufhören würde, ein Teil dieses Staats zu sein, weil er ein unabhängiger Staat wird, würden die EU-Verträge nicht länger auf dem Gebiet gelten“, erläuterte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bereits Ende 2012 in einem Schreiben an einen britischen Parlamentarier. Einfacher gesagt: Durch eine Unabhängigkeit würde Schottland für die EU zu einem Nicht-Mitgliedstaat. Ein „Ja“ der Schotten in der kommenden Woche hat allerdings keine umgehenden Folgen: In dem Referendum wird erst einmal nur darüber abgestimmt, ob die Schotten unabhängig sein wollen. Dies ist nicht mit einer automatischen oder sofortigen Abspaltung von Großbritannien verbunden.

Könnte Schottland wieder Mitglied der EU werden?

Ja. Allerdings müsste Schottland dafür das übliche Aufnahmeverfahren durchlaufen. Dieser Prozess dauert in der Regel Jahre, da die EU von Neulingen gesetzliche Anpassungen und Reformen fordert. Für Schottland könnte dies deutlich einfacher sein, da Großbritannien ja EU-Mitglied ist und somit in Schottland derzeit bereits die Gesetze und Normen der EU gelten. Es gibt allerdings einen Haken: Alle EU-Mitgliedstaaten müssen der Aufnahme eines Neumitglieds zustimmen. Dies könne für Schottland „sehr schwer, wenn nicht unmöglich“ werden, warnte Barroso vor einigen Monaten in einem Interview. Denn manche EU-Staaten dürften unbedingt verhindern wollen, dass Schottland das Beispiel für eine erfolgreiche Unabhängigkeit wird.

Ist Schottland ein Einzelfall?

Nein. Auch in der spanischen Region Katalonien oder im belgischen Flandern beispielsweise gibt es starke Unabhängigkeitsbewegungen. Daher rührt auch der zu erwartende Widerstand aus manchen EU-Staaten gegen eine unkomplizierte Aufnahme Schottlands in die Gemeinschaft, sollten die Befürworter einer Abspaltung von Großbritannien in der Mehrheit sein. Bereits ein Sieg der „Yes“-Bewegung am 18. September dürfte anderen Unabhängigkeitsbewegungen in Europa einen deutlichen Auftrieb verleihen.