Nach dem Abschuss einer Militärmaschine gedenkt die Ukraine der Opfer. Gleichzeitig erhöht Kiew den Druck auf Moskau und droht mit diplomatischer Eiszeit. Präsident Poroschenko kündigt Offensive an.

Kiew. Nach dem Abschuss eines Militärflugzeugs mit 49 Soldaten hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko den prorussischen Separatisten mit Vergeltung gedroht. Für den „zynischen Terrorakt“ würden die Aufständischen im Osten des Landes teuer bezahlen, sagte der prowestliche Staatschef in Kiew. Alle Soldaten an Bord waren ums Leben gekommen.

Die Ukraine gedachte der Opfer mit einem Tag der Trauer. Der Abschuss hatte weltweit für Bestürzung gesorgt. Für Montag berief Poroschenko den nationalen Sicherheitsrat ein. Die Sitzung wird von einem Ultimatum Russlands zur Begleichung ukrainischer Gasschulden überschattet. Die Ukraine drohte Russland mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Falls Moskau weiterhin zur Verschärfung der Lage im Osten der Ex-Sowjetrepublik beitrage, müsse die Ukraine zu diesem „äußersten Mittel“ greifen, sagte Außenminister Andrej Deschtschiza am Sonntag in Kiew.

Deschtschiza warf dem Nachbarn vor, Nachschub für militante Gruppen über die gemeinsame Grenze nicht zu verhindern. Moskau bestreitet vehement, Einfluss auf die Separatisten zu haben. Der Flugzeug-Abschuss war der schwerste Rückschlag für die ukrainische Armee seit Beginn ihrer „Anti-Terror-Offensive“ gegen Separatisten Mitte April. Die Aufständischen bekannten sich dazu, die Maschine beim Landemanöver auf den Flughafen von Lugansk mit Raketen beschossen zu haben. Vor der russischen Botschaft in Kiew kam es zu Ausschreitungen. Demonstranten warfen der Regierung in Moskau vor, die Verantwortung für die Gewalt im Osten zu tragen.

Das russische Außenministerium und auch die USA verurteilten die Proteste. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) rief Kremlchef Wladimir Putin in einem Telefonat zur schärferen Kontrolle der Grenze auf. Russland müsse den Zustrom von Waffen und Kämpfern in die Ukraine wirksam eindämmen, sagte Merkel nach Angaben eines Regierungssprechers. An dem Gespräch sei auch Frankreichs Präsident François Hollande beteiligt gewesen. Außenminister Deschtschiza sagte, der Sicherheitsrat in Kiew werde an diesem Montag über eine mögliche Schließung der Grenze beraten.

„Insgesamt 100 tote Kämpfer und Zivilisten“

Die ukrainische Armee setzte ihre Offensive fort. Bei tagelangen Luftangriffen bei Kramatorsk seien mehr als 50 Aufständische getötet und etwa 150 verletzt worden, sagte Militärsprecher Wladislaw Selesnjow. Viele davon seien Kämpfer aus dem benachbarten russischen Konfliktgebiet Nordkaukasus. Separatistenführer Waleri Bolotow sprach sogar von „insgesamt 100 toten Kämpfern und Zivilisten“. Zuletzt hatte es häufig abweichende Angaben über Opferzahlen gegeben. Die Aufständischen wiesen Vorwürfe zurück, dass sie aus Russland drei T-64-Panzer erhalten hätten. Seines Wissens stamme das Kriegsgerät aus ukrainischen Depots, sagte Separatistenführer Andrej Purgin.

Am Tag der Trauer wehten Fahnen auf halbmast. Fernsehsender verzichten auf Unterhaltungsshows. In Gottesdiensten beteten Gläubige für die Opfer. Nach Armee-Angaben hatten Aufständische die Maschine vom Typ Iljuschin IL-76 in der Nacht zum Samstag mit Raketen angegriffen. Ex-Verteidigungsminister Anatoli Grizenko zufolge waren 40 Fallschirmjäger einer Luftlandebrigade aus Dnjepropetrowsk sowie neun Mann Besatzung an Bord. Das Flugzeug sei in etwa 700 Metern Höhe von Geschossen aus dem Raketenwerfer „Igla“ (Nadel) getroffen worden.

Aufständische halten mehrere OSZE-Beobachter gefangen

Außenminister Frank-Walter Steinmeier forderte, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. „Jeder, der solche Taten begeht oder gutheißt, disqualifiziert sich für einen Dialog“, sagte Steinmeier der Zeitung „Die Welt“. Die Grenze zwischen Russland und der Ukraine müsse für Kämpfer und Waffen „undurchlässig gemacht werden“. Die Separatisten wollen die Region von der Ukraine abspalten. Sie lehnen den prowestlichen Kurs der Regierung in Kiew ab und streben einen Beitritt zu Russland an – nach dem Vorbild der Halbinsel Krim. Die Aufständischen halten auch mehrere OSZE-Beobachter gefangen.

Der „Bild“-Zeitung zufolge ist unter ihnen auch eine Deutsche. Das Auswärtige Amt wollte sich dazu auf Anfrage nicht äußern. In ihrem milliardenschweren Gasstreit wollten Vertreter von Russland und der Ukraine die Gespräche am Sonntagabend in Kiew fortsetzen. Die Verhandlungen unter Vermittlung von EU-Energiekommissar Günther Oettinger waren am Vortag ergebnislos vertagt worden. Russland fordert die Tilgung offener Rechnungen für geliefertes Gas bis Montagmorgen. Die Ukraine will aber zunächst einen Rabatt aushandeln.