Der Konflikt um die Provinz Berg-Karabach im Kaukasus zeigt, wie Europa um Einfluss im Osten ringt – sich gegen Russlands Geld, Gas und Gewehre aber nicht durchsetzen kann.

Stepanakert. Der Präsident hat einen Spruch für den Besuch aus Hamburg mitgebracht: „Es gibt zwei Völker, die Schweinefleisch so sehr lieben: die Deutschen. Und wir, hier in Berg-Karabach.“ Bako Sahakjan, ein älterer Mann mit bleicher Haut und grauen Haaren, ist Staatsoberhaupt der Republik Berg-Karabach. Er sitzt an einem langen Tisch aus Holz, so groß wie ein Lastwagen, neben ihm nehmen acht Mitarbeiter Platz, die Fahne der Republik steht in der Ecke, rot, blau und orange, daneben das Wappen in Gold. Hier, zwischen den braunen Bergen des südlichen Kaukasus, soll niemand den Eindruck haben, man sei in der Provinz. Und deshalb legt Sahakjan seine Worte in eine weiche Diplomatie. Ihm gegenüber sitzt Jürgen Klimke, CDU-Politiker und Bundestagsabgeordneter aus Wandsbek, und nickt freundlich die Monologe des Präsidenten ab.

Berg-Karabach ist gerade einmal doppelt so groß wie das Saarland. Es liegt eingezwängt zwischen den verfeindeten Armenien und Aserbaidschan. Berg-Karabach hat eine eigene Verfassung und eine eigene Nationalhymne, der Text erzählt von einem freien Land, in dem die Menschen ihre Heimat als Festung erbaut haben. Die Menschen in Berg-Karabach haben eigene Ausweise, ihre Politiker sitzen im eigenen Parlament in der Hauptstadt Stepanakert.

Und doch ist Berg-Karabach nicht anerkannt. Von keinem Staat der Welt, nicht einmal vom Freund und Nachbarn Armenien. Berg-Karabach hat einen neuen Flughafen, und doch fliegt von dort kein Flugzeug ab. Das Land ist eher die Kulisse einer Republik.

Berg-Karabach ist eine ziemlich kleine Bühne der Weltpolitik. Und doch lässt sich auf ihr vieles von dem großen Theater erklären.

Als das Sowjetimperium Ende der 1980er Jahre bröckelte, begannen Armenier in ihrer Hauptstadt Jerewan für die Wiedervereinigung mit Berg-Karabach zu demonstrieren. Die Situation spitzte sich zu. Aserbaidschaner reagierten mit Verfolgungen von Armeniern. Armenier jagten Aserbaidschaner. Mehr als 30.000 Menschen starben, Hunderttausende flohen, als 1988 ein Krieg ausbrach zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach. Es war der erste bewaffnete Konflikt der postsowjetischen Zeit. Er dauert bis heute an. 175 Kilometer ist die Grenze heute lang, gesichert mit Gräben und Stacheldrahtzäunen, dahinter stehen Panzer und Artillerie. Viele Dörfer und Städte sind noch gezeichnet von den Granateinschlägen und dem Feuer der Maschinengewehre. Seit 1994 leben die Bewohner von Bergkarabach mit einem brüchigen Waffenstillstand. Noch immer sterben im Durchschnitt jedes Jahr ein paar Dutzend Soldaten und Zivilisten durch Kugeln der Scharfschützen oder Minen.

Und so ist die Geschichte von Berg-Karabach auch die des Scheiterns der Friedenspolitik zwischen zwei Feinden, einem Land in der Mitte, aber auch zwischen Russland und der Europäischen Union. Die Proteste in der Ukraine lenken den Fokus auch auf den Kaukasus – eine Region, in der die EU genauso wie Russland um Macht kämpfen. Und eine Region, in der Europa erneut einen Kampf zu verlieren droht.

Präsident Sahakjan hat für den Besuch aus Deutschland eine klare Antwort: Berg-Karabach gehört in die EU. „Wenn Sie sich fragen, wo Europas Grenzen beginnen und enden, dann schauen Sie hierher.“ Schließlich seien die Menschen hier Christen. Man teile die Werte der europäischen Kultur.

Was er nicht sagt, ist die starke Abhängigkeit seiner selbstgebauten Republik vom Nachbar Armenien. Wer in Berg-Karabach einkauft, zahlt mit dem armenischen Dram. Gesetze, die das Nachbarland verabschiedet, werden meist von Berg-Karabach übernommen, Waren tauschen Eriwan und Stepanakert über die Landstraße aus. Armenien vertritt Berg-Karabach auch bei den internationalen Friedensverhandlungen. Eigene Diplomaten darf Präsident Sahakjan nicht schicken.

Doch gehört Armenien noch zu Europa? Oder zieht der Konflikt um Berg-Karabach das Land in Richtung Russland? Was der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch den EU-Politikern Ende November andeutete, vollzog der armenische Präsident Sersch Sargsjan schon im September. Er entschied sich gegen ein Assoziierungsabkommen mit der EU. Stattdessen will Armenien der russischen Zollunion beitreten.

Russland stellt Armenien Geld bereit für den Bau eines neuen Atomkraftwerks. Russland liefert Waffen und Gas. Erst kürzlich stimmte die Regierung in der armenischen Hauptstadt Jerewan einer Verstärkung der russischen Militärbasis in Gjumri zu, Armeniens zweitgrößte Stadt nahe der türkischen Grenze.

Hunderte Armenier demonstrierten in der Hauptstadt Jerewan gegen einen Besuch von Putin. Sie forderten auf Plakaten und mit Sprechchören „Stoppt Putin!“ und wandten sich „Gegen eine Wiederrichtung der Sowjetunion“.

Vor ein paar Tagen besuchte Russlands Präsident Wladimir Putin Armenien. „Russland ist der wichtigste Handelspartner und der größte Investor in die armenische Wirtschaft“, sagte er. Zusammen mit Präsident Sargsjan schaute Putin per Videokonferenz der Einweihung eines neuen Blocks des Wärmekraftwerks in Hrasdan zu. Das Kraftwerk gehört Russland, der Konzern Gazprom hat mehr 300 Millionen Dollar in den Bau des neuen Blocks investiert.

Als der Außenpolitiker Klimke mit Abgeordneten in Armenien spricht, fordert er sie auf, trotz der Nähe zu Russland die Beziehungen zur EU zu pflegen, sei es Austausch von Studenten oder die Zusammenarbeit der Handelskammern, Kirchen oder Museen. „Tun Sie das eine, aber lassen Sie das andere nicht“, sagt Klimke oft auf seinem Besuch in Armenien.

Hamburgs CDU-Politiker hört auf seiner Reise viel Lob über die EU, viel Sympathie für die europäischen Werte. Doch je höher das Amt, desto lauter wird die Stimme Russlands. „In der Auseinandersetzung mit Aserbaidschan und der Türkei bleibt Russland unser wichtigster Verbündeter, ein wichtiger strategischer Partner“, sagt Armeniens Vize-Außenminister Shavarsh Kocharyan. Russische Soldaten an der Grenze zur Türkei sei ein Sicherheitsfaktor für das Land. Denn noch immer sind die Beziehungen zwischen Jerewan und Ankara durch den Völkermord an den Armeniern zu Beginn des 20.Jahrhunderts stark belastet. Damals kamen auf Befehl der jungtürkischen Regierung im Osmanenreich mehrere Hunderttausend Menschen durch Massaker und Vertreibung ums Leben. Bis heute hat die Türkei die Morde nicht als Völkermord anerkannt – anders als beispielsweise Frankreich.

„Solange die Sicherheitsfrage eine der Grundfragen der armenischen Außenpolitik bleibt, wird die Zusammenarbeit mit der russischen Föderation noch mehr vertieft“, sagt Vize-Außenminister Kocharyan. Der Oppositionspolitiker und designierte Botschafter Armeniens in Deutschland, Vahan Hovhannisyan, hebt hervor: „Es ist eine schwierige Zeit für Armenien. Die Beziehungen zur EU sind an einem kritischen Punkt.“

Und genauso ist auch der Friedensprozess um die Region Berg-Karabach an einem kritischen Punkt. Die OSZE richtete 1992 eine Gruppe ein. Auf einer Konferenz in Minsk sollte der Frieden gesichert werden. Doch die Tagung in Weißrussland hat nie stattgefunden. Seitdem bemüht sich die Gruppe unter der Leitung von Russland, den USA und Frankreich um eine Lösung des eingefrorenen Konflikts. Bisher vergeblich.

Und die beiden Konfliktparteien, Armenien und Aserbaidschan, rasseln mit Säbeln. Jeder, so gut er kann. Und im Moment kann vor allem Aserbaidschan. Das Land wuchs zum Rohstoff-Riesen. Mit der Öffnung der Erdöl-Pipeline von Baku über Tiflis und Ceyhan 2006 stieg das Bruttoinlandsprodukt Aserbaidschans um das zwanzigfache auf 70 Milliarden Dollar. 2011 verdoppelte die autokratische Regierung um Ilham Alijew den Militärhaushalt. Armenien kann sich ein Wettrüsten mit dem verfeindeten Nachbarn nur deshalb noch leisten, weil es Waffen zum Vorzugspreis von Russland erhält.

Die Europäische Union will den Einfluss in Osteuropa und im Kaukasus vergrößern und lockt mit Handel, günstigen Krediten, auch mit dem Aufbau von Demokratie. Waffen aber liefert die EU nicht. Die Argumente europäischer „Soft Power“ verstummen im Süden des Kaukasus unter Geld, Gas und Gewehren der Russen.