Der Fund des radioaktiven Stoffes Polonium an der Leiche bleibt mysteriös. Israel hatte kein Motiv für einen Mord. Was wissen die Russen und die früheren Wegbegleiter?

Tel Aviv/Ramallah. Kaum war der legendäre Palästinenserführer Jassir Arafat 2004 im Alter von 75 Jahren in einem französischen Militärkrankenhaus gestorben, schossen die Spekulationen ins Kraut. Außer Krankheiten wurde sofort auch Gift als Todesursache genannt. Und als Täter stand Israel am Pranger. Beweise gab es dafür jedoch keine. Jetzt wollen Schweizer Experten vom Institut für Radiophysik des Universitätsklinikums in Lausanne (CHUV) zumindest der Todesursache auf die Spur gekommen sein.

Mit „moderater“ Wahrscheinlichkeit sei davon auszugehen, dass Arafat mit tödlichem Polonium 210 vergiftet worden sei, heißt es in ihrem Gutachten. Die Konzentration der radioaktiven Substanz in Gewebeproben Arafats sei 18-mal höher als normal. Schon ein Millionstel Gramm Polonium 210 kann einen Menschen töten. Auch der frühere KGB-Agent Alexander Litwinenko wurde 2006 in London offenbar mit Polonium getötet.

Veröffentlicht wurde das 108 Seiten lange Gutachten von dem in Katar beheimateten Fernsehsender al-Dschasira, der offenbar über beste Verbindungen zu Arafats Witwe Suha verfügt. Von mehr Klarheit kann jedoch keine Rede sein. Ganz im Gegenteil dürften die Spekulationen vor allem über die möglichen Täter jetzt noch heftiger wuchern. „Der ganze Fall ist total undurchsichtig und gleicht einer Achterbahn im Dunkeln“, sagte der israelische Journalist Matthew Kalman der Nachrichtenagentur dpa am Donnerstag.

Die Schweizer hatten erstmals im Juli 2012 den Verdacht auf Polonium 210 gelenkt. An persönlichen Gegenständen wie Unterwäsche und einer Zahnbürste, die Arafat kurz vor seinem Tod benutzt haben soll, hatten sie erhöhte Konzentrationen der tödlichen Substanz gefunden. Suha hatte die Gegenstände zur Verfügung gestellt, Al-Dschasira berichtete schon damals exklusiv.

An der Leiche nahmen auch russische Experten Proben

Um Klarheit zu schaffen, erlaubten die palästinensischen Behörden schließlich im vergangenen November eine im Islam eigentlich verbotene Exhumierung Arafats. In dem Grab unter seinem prunkvollen Mausoleum in Ramallah entnahmen jedoch nicht nur die Schweizer Gewebeproben, sondern auch Experten aus Frankreich und Russland.

Aber statt zu Klarheit führte das zu noch mehr Fragen und Widersprüchen. In drei bis vier Monaten würden die Ergebnisse der Untersuchungen vorliegen, hieß es damals. Tatsächlich aber dauerte es fast ein Jahr, bis die Russen als erste von Ergebnissen berichteten: „Kein Polonium“, hieß es aus Moskau. „Er kann nicht mit Polonium vergiftet worden sein“, sagte Wladimir Ujba, Chef der staatlichen biologisch-medizinischen Agentur Mitte Oktober.

Nur Stunden später aber kassierte ein namentlich nicht genannter Mitarbeiter des Außenministeriums in Moskau die Angaben wieder ein. Es sei gar nichts gesagt worden, behauptete er. Für Moskau ist das Thema Polonium ein heißes Eisen – eben wegen des Todes von Litwinenko 2006. das Gutachten aus Frankreich ließ auf sich warten.

Palästinensische Rivalen hatten Motive für einen Mord

Der Journalist Kalman glaubt sehr wohl, dass Arafat einem Giftmord zum Opfer gefallen ist. Zusammen mit dem Autor Matt Rees hat er versucht, die Hintergründe des Verbrechens zu aufzudecken. In ihrem Buch „The Murder of Yasser Arafat“ kommen sie zu dem Schluss, dass Arafat vermutlich einer Intrige höchster palästinensischer Kreise zum Opfer gefallen sein könnte. Israel habe 2004 gar kein Motiv mehr gehabt, den politisch bereits geschwächten Arafat umzubringen.

Gründe, den alternden Patriarchen aus dem Weg zu räumen, könnten hingegen Rivalen aus den eigenen Reihen gehabt haben. Mit seinem autoritären Führungsstil hatte sich Arafat, der schon mal einen Minister ohrfeigte und einen Sicherheitschef mit gezückter Pistole entließ, nicht nur Freunde gemacht. Zudem wucherte die Korruption und Millionen-Hilfsgelder wurden auf Arafat-Konten in fernen Steuerparadiesen umgelenkt.

Arafats Witwe hat derweil einen Appell an die Nachfolger ihres Mannes gerichtet: Die palästinensische Führung müsse sich um Gerechtigkeit für Arafat bemühen, forderte Suha Arafat im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP. Der Tod ihres Mannes sei ein Verbrechen. Seine Nachfolger müssten „die Werkzeuge finden“ und den Fall vor internationalen Gerichten verfolgen, sagte sie. Arafats Witwe ging in dem Gespräch nicht direkt auf Israel ein. Sie sagte jedoch, nur atomwaffenfähige Länder hätten Zugang zu Polonium.