Kopf an Kopf: Steinbrück hat im Ersten gewonnen, Merkel bei RTL. Die Kanzlerin zum Schluss des TV-Duells: „Sie kennen mich.“

Hamburg/Berlin. Die ARD sieht Herausforderer Peer Steinbrück (SPD) nach dem TV-Duell mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorn. Nach einer Umfrage von Infratest dimap habe Steinbrück das Duell mit 49 zu 44 Prozent gewonnen, hieß es in der ARD am späten Sonntagabend.

Erste Zahlen nach dem TV-Duell hatten Merkel hauchdünn vorn gesehen. So war das Ergebnis einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL so: In einer Blitzerhebung unmittelbar nach Ende des TV-Duells gaben 44 Prozent der Befragten an, dass die Bundeskanzlerin das 90-minütige Rededuell gewonnen hat.

43 Prozent sahen Steinbrück als Sieger des einzigen verbalen Schlagabtauschs der Spitzenkandidaten vor der Bundestagswahl.

Am Ende gaben sie sich die Hand. Aber 90 Sekunden hatten Angela Merkel und Peer Steinbrück beim TV-Duell noch für ihre Schluss-Statements: Steinbrück sprach direkt die Wähler an: „Sie haben es in der Hand.“ Deutschland brauche wieder einen Aufbruch, zu vieles sei liegen geblieben. Steinbrück spulte die Themen ab, nannte seine Slogans, verwob sie mit Begriffen wie „Tatkraft“, „mein Plan“, „die Gesellschaft zusammenhalten“.

Merkel sprach die Zuschauer mit „Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger“ an. Sie sagte: „Sie kennen mich, wir hatten vier gute Jahre für Deutschland.“ Merkel sprach sich gegen Steuererhöhungen aus, warb um ihren Europa-Kurs, sprach von „Chancen für die Kinder“. Merkel sagte: „Wir können das alles nur gemeinsam schaffen.“ Spontan musste Anne Will lachen. Das wirkte wie Spott.

In einer Halbzeitbilanz stellte die ARD direkt nach dem TV-Duell in einer Zuschauerbefragung fest: 44 Prozent sehen Merkel vorn, 43 Prozent Steinbrück.

Raab greift Steinbrück an: Man könne doch nicht sagen, man wolle nur antreten, wenn man „King of Kotelett“ ist. Damit spielte er darauf an, dass Steinbrück nicht in eine Große Koalition mit einer Kanzlerin Merkel eintreten wolle. Anne Will stichelt: Die schärfste Waffe von Merkel sei doch, wenn sie jemandem das vollste Vertrauen ausspreche. So hielt es Merkel mit Guttenberg und Röttgen und Schavan – sie mussten als Minister zurücktreten oder wurden gefeuert.

Da könne Merkel nun doch mal der FDP das volle Vertrauen aussprechen. Merkel ließ sich nicht aus dem Konzept bringen, sagte, man habe „nicht besonders erquicklich“ angefangen mit den Liberalen. Doch sie wolle die Union-FDP-Koaltion fortsetzen. Ein Hintertürchen ließ sie sich offen: Merkel sagte, sie könne nicht verstehen, warum die SPD sich so gegen eine Große Koalition sperre.

Ein heikles Thema, von dem Tausende Menschenleben abhängen: ein möglicher Militärschlag gegen Syrien. Steinbrück erwartet von Merkel, dass sie sich beim G20-Gipfel gegen einen Militärschlag ausspricht. Er als Kanzler würde dafür Sorge tragen, dass in keinem Fall deutsche Soldaten in einen Angriff verwickelt wären.

Merkel stellt klar: Deutschland könne sich nur an Syrien-Maßnahmen beteiligen, wenn es ein Nato- oder ein Uno-Mandat gäbe. Dennoch brauche es eine „kollektive Antwort der Uno“ auf den mutmaßlichen Giftgas-Einsatz. „Das ist ein wahnsinniges Verbrechen.“

Siebzig Minuten TV-Duell – und noch kein Wort zum dringenden Thema Spionage der amerikanischen Geheimdienste wie NSA? Los geht’s: Steinbrück wirft Merkel vor, nicht genügend gegen das Ausspähen auch von Deutschen getan zu haben. Den Vorwurf, dass Merkel ihren Amtseid verletzte, will er nicht direkt wiederholen. Raab insistiert. Steinbrück sagt’s nicht noch einmal.

Merkel beschwichtigt: Es gebe keinen Anlass, sich um das Ausspähen auf deutschem Boden zu sorgen. Und in Europa arbeite man an einer gemeinsamen Datenschutzordnung.

Anne Will geht ran: „Wenn ich ne Mail schreibe von Köln nach Hürth, und die geht über die USA, dann kann die also mitgelesen werden?“ Merkel antwortet: „Dann gelten dort die Datenschutzregeln der anderen Länder.“ Steinbrück hackt dazwischen: „Also ja?“ Merkel windet sich heraus, sagt, wie die Telekom Vorschläge macht, wie man sich schützen kann. Und: Merkel gibt zu, viele Dinge nicht gewusst zu haben.

Merkel verteidigt das Betreuungsgeld, das Mütter bekommen, wenn sie ihr Kind nicht in die Kita geben und zu Hause erziehen. Steinbrück will es sofort abschaffen, „wenn ich Kanzler bin“. Merkel sagte, sie habe dem Drängen von Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) nicht nachgegeben. Es sei eine Paketlösung mit dem Kita-Ausbau gewesen.

Thema Gesundheit: Bundeskanzlerin Merkel muss sich Untätigkeit bei der Reform der gesetzlichen Krankenkassen vorwerfen lassen. Sie kontert: „Wir haben einen Anspruch, dass jeder die Gesundheitsversorgung bekommt, die er braucht.“ Es gebe keine Kürzungen beim Krankengeld, bei Kuren oder Hörgeräten. Und jeder, der sich ungerecht behandelt fühle, könne sich melden.

Steinbrück sagte knapp, er sei privatversichert. Merkel ist es auch, wie sie einräumt. Steinbrück spricht sich dennoch für eine Bürgerversicherung aus, die die Privatversicherer abschaffen will. Den Vorwurf einer Einheitskasse will er nicht gelten lassen. In die Tiefe gehen die Moderatoren an dieser Stelle nicht. Ein Manko, denn das ist ein handfestes Thema für die meisten Bürger.

Über die Pflegereform wird wieder länglich gestritten. Konkretes? Fehlanzeige. Steinbrück wirft der Regierung vor, mit dem „Pflege-Bahr“ ein privates Element eingeführt zu haben, das niemandem helfe. Merkel sagt: „Die Beiträge zur Pflegeversicherung steigen. Es wird mehr Pflegebedürftige geben.“ Aber hier müsse weiter reformiert werden.

RTL-Moderator Peter Kloeppel wirft Peer Steinbrück vor, die Hartz-Reformen sogar noch verschärfen zu wollen. Früher jedenfalls sei das seine Position gewesen. Da fährt Steinbrück zu ganz großer Form auf. Diesen Faktencheck will er bestehen: „Da müssen Sie jetzt mit mir zu Wikipedia gehen, Herr Kloeppel!“

Merkel erläutert das Rentenkonzept der Union, ein wichtiges Thema. Die Rente müsse Gerechtigkeit widerspiegeln, sagt Merkel. Über die Vorwürfe, dass ihre Regierung die nötige Rentenreform nicht angepackt hat, sagt sie nichts. Sie betont die neuen Anerkennungszeiten, die sogenannte Mütterrente, die verbessert werden solle.

Anne Will will’s wissen: Merkel und ihr Mann, Steinbrück und seine Frau haben Anspruch auf Beamten-Pensionen, die meist höher sind als die Renten von Normalbürgern, die gesetzlich versichert waren. Wie steht‘s da mit der Gerechtigkeit?

Jetzt muss Steinbrück Farbe bekennen. „Die Pensionen müssen fair gekoppelt werden an die Entwicklung des gesetzlichen Rentenniveaus.“ Das ist mal eine Aussage. Konkret allerdings wird Steinbrück nicht.

Versprechen kann man das ja mal. Merkel kontert: Da müssten ja jetzt mal die Polizisten genau hinhören. Was die SPD da in Person von Steinbrück verspreche, sei ja unglaublich.

Peer Steinbrück schlägt in die Kerbe, die ihm einen rhetorischen Erfolg gebracht hat: Die Finanzkrise sei nicht von den Bürgern verschuldet. „Das ist eine Bankenkrise.“ Das hören die Bürger in ganz Europa gern.

Angela Merkel spürt, dass sie ins Hintertreffen gerät. Sie meldet sich, noch bevor sie gefragt wird. Anne Will genüsslich: „Darf ich erst die Frage stellen?“ Dann lobt Merkel ihren Vorgänger Gerhard Schröder. Gibt sich konziliant. Sagt, man sehe die ersten Folgen des Wachstums, dass es überall in Europa vorangehe. Dann doziert sie über Zinsen, die Probleme der deutschen Sparer, die südeuropäischen Länder, die Investoren.

Steinbrück dagegen nimmt eine dankbare Vorlage von Raab auf: Die Kavallerie in die Schweiz schicken, wenn die Eidgenossen nicht die Namen der deutschen Steuerflüchtlinge verraten? Das könne man doch nicht machen, sagt Raab. „Stimmt nicht“, sagt Steinbrück. Man kann die Schweizer zwingen, man muss hart durchgreifen, so Steinbrück.

Auch Merkel meldet sich, läuft Steinbrück wieder hinterher. Eine „Katastrophe“ sei die Steuerhinterziehung. Jedes Mal, wenn Steinbrück bei populären Themen punktet, legt Merkel nach. Ganz gleich, was sie gefragt wird.

Merkel in der Klemme: Sie finde es gut und richtig, dass die SPD den Rettungspaketen der Bundesregierung zugestimmt habe. Das musste sie Steinbrück zugestehen, der fordernd Merkel vorgehalten hatte, dass sie in einem Interview die Zuverlässigkeit der Sozialdemokraten in Zweifel gezogen hatte. Punkt für Steinbrück.

Zum ersten Mal spielt sich Stefan Raab in den Vordergrund. Er will wissen, warum die Schulden nicht zurückgezahlt werden, die Deutschland angehäuft hat. Warum nicht ab sofort keine Schulden mehr?, fragt Raab. Wenn man jedes Jahr eine Milliarde Euro zurückzahlen würde, „dann wären wir 2184 schuldenfrei“, so Raab und ätzte gegen Merkel: „Oder ist Ihnen das zu ehrgeizig?“

Merkel antwortet routiniert. Sie sagte, was ihre Regierung geschafft habe, sei sensationell. Auf die Frage nach der PKW-Maut und die Bedingung von Horst Seehofer (CSU) ging sie nicht tiefer ein. Die neue Regierung unter ihrer Führung werde eine Lösung finden. Später sagt sie: „Mit mir wird es keine PKW-Maut geben.“

Steinbrück süffisant: „Ich stimme ausdrücklich zu und schicke schöne Grüße zu Horst Seehofer.“

Auffällig: Merkel lässt sich nicht unterbrechen, redet durch, wird lauter. Die Moderatoren kuschen.

Anne Will ist schon konsterniert: „Wir bekommen Einlassungen von Ihnen, die nicht zu unseren Fragen passen.“ Das saß! Denn es bedeutet, dass Merkel und Steinbrück im TV-Duell sich herauswinden.

Andererseits ist es aber auch ein Eingeständnis, dass die ersten Fragen vielleicht doch nicht so toll waren.

Peer Steinbrück sagt in seiner ersten Antwort auf die erste Frage von Maybrit Illner: „Wir brauchen eine Regierung, die handelt. Die Menschen haben heute die Möglichkeit, einen Test zu machen.“ Die Bürger sollten sich von der Bundeskanzlerin nicht einlullen lassen.

Früher war er sein Pressesprecher, jetzt ist er selbst Ministerpräsident: Torsten Albig (SPD), Regierungschef in Schleswig-Holstein, macht Peer Steinbrück vor Ort Mut. Albig hat gezeigt, wie man Wahlkampf gegen die CDU macht.

TV-Moderator Günther Jauch macht schon mal Werbung in eigener Sache: „15 Millionen Zuschauer werden bei diesem Duell erwartet.“ Jauch rechnet hoch: Merkel hat bei jedem Marktplatzauftritt im Wahlkampf einige Tausend Besucher. Sie müsste also, so Jauch, zwölf Jahre lang ununterbrochen auf Wahlkampftour gehen, um diese Zahl an Kontakten zu erreichen.

Um 19.50 Uhr ist auch Angela Merkel da – und wird von ihren Anhängern gefeiert. Die Bundeskanzlerin traf vor dem TV-Duell mit Peer Steinbrück in Berlin-Adlershof ein. An ihrer Seite: Regierungssprecher Steffen Seibert, früher ZDF-Nachrichtenmann.

19.21 Uhr zeigte die Uhr, als der Herausforderer vor dem Studio eintraf: Peer Steinbrück bringt vor dem TV-Duell mit Angela Merkel genügend Zeit zum Pudern und Eingrooven mit. Allerdings musste er vor Angie-Plakaten aus dem Auto steigen. Könnte besser beginnen.

Er weiß, wie man TV-Duelle inszeniert: Hollywood-Regisseur Roland Emmerich, 57. Auch er würde gerne wie immer an der Bundestagswahl teilnehmen. Problem: Emmerich (“White House Down“, „Independence Day) wartet noch auf seine Wahlunterlagen.

Diese bekomme er immer von seiner Mutter geschickt, sagte Emmerich der „Welt am Sonntag“. Allerdings habe er Ärger mit seiner Mutter gehabt, weil er ihren Verdruss darüber, dass er immer Grün wählt, öffentlich gemacht habe. „Da war sie richtig sauer auf mich.“ Emmerich stellt an diesem Montag seinen Actionfilm „White House Down“ bei der Deutschlandpremiere in Berlin vor.

Vor dem TV-Duell sagte Kickboxerin Christine Theiss, die als offizielle Beobachterin von der CDU eingeladen wurde: „Es wird ausgeglichen werden.“ Sebastian Krumbiegel (“Die Prinzen“) sagte: „Ich bin dafür da, viele Leute auf den Weg zu führen, damit sie wählen gehen, damit sie sich einmischen.“ Er wisse, auf welcher Seite er steht: „Ich wünsche Herrn Steinbrück alles Gute. Frau Merkel kann sich nicht wegducken.“

Es sind alte Bekannte beim TV-Duell von Angela Merkel gegen Peer Steinbrück. Doch es gibt eine große Unbekannte, den Unbekannten, den Neuen in diesem politischen Format: Stefan Raab.

Der Hans Dampf der Mattscheibe wird erstmals im Moderatoren-Quartett Fragen stellen. Raab sagte der „WAZ“-Mediengruppe: „Viel Spielraum gibt es nicht. Man muss sich an die Regeln halten. Es wird aber sicher die Gelegenheit geben, die ein oder andere Nachfrage zu stellen.“

Raab sagte, er verstehe sich als Teamplayer. „Aber ich bin ein emotionaler Typ, da kann es schon sein, dass mir mal die Pferde durchgehen.“

Gut die Hälfte der Deutschen wollten sich das TV-Duell anschauen, ergaben Umfragen. Allerdings rechneten nach einer repräsentativen Emnid-Umfrage für die „Bild am Sonntag“ 62 Prozent der Bundesbürger damit, dass Merkel das Duell für sich entscheidet. Nur 16 Prozent erwarteten einen Erfolg Steinbrücks.

Selbst bei den SPD-Wählern waren 42 Prozent davon überzeugt, dass Merkel als Gewinnerin aus der Fragerunde hervorgehen würde, 36 Prozent setzten auf Steinbrück.

Im neuen Sonntagstrend der „Bild am Sonntag“ büßte die SPD weiter an Zustimmung ein, Sie verlor zwei Punkte und kam nur noch auf 23 Prozent. Mit 11 Prozent verzeichneten auch die Grünen ein Minus von einem Punkt. Dagegen legte die Linke um zwei Punkte auf 10 Prozent zu.

Für die CDU/CSU ermittelte das Emnid-Institut 39 Prozent (minus 1), für die FDP 6 Prozent (plus 1). Das ergab eine hauchdünne Mehrheit für Schwarz-Gelb gegenüber Rot-Rot-Grün von 45 zu 44 Prozent. Diese ist aber wegen der üblichen Fehlertoleranz von Umfragen unsicher.

Dieses Mal wird das TV-Duell moderiert von Anne Will (ARD), Maybrit Illner (ZDF), Peter Kloeppel (RTL) und Stefan Raab (ProSieben).