„Ich bin dafür, dass die Kommission eines Tages so etwas wie eine europäische Regierung ist“, sagte Kanzlerin Merkel in Brüssel.

Brüssel. Ein EU-Ausstieg Großbritanniens kommt für Kanzlerin Angela Merkel nicht infrage: „Ich möchte ein starkes Großbritannien in der EU“, sagte sie am Mittwochabend vor dem EU-Parlament in Brüssel. Sie könne sich „überhaupt nicht vorstellen“, dass das Land „nicht zu Europa gehört“ – und verwies darauf, dass noch britische Soldaten in Deutschland seien. Aus Brüssel flog die CDU-Chefin weiter nach London, um mit dem britischen Premierminister David Cameron über den EU-Haushalt zu beraten.

Cameron bläst zu Hause heftiger Wind von EU-Gegnern ins Gesicht - und die Forderung nach einem Austritt aus der EU wird in London immer lauter. Merkel appellierte „an die Bewohner dieser wunderschönen Insel“, nicht die falschen Schlüsse zu ziehen und ihr Glück in der Isolation zu suchen. „Wenn sie heute in einer Welt von sieben Milliarden Menschen alleine sind: Ich glaube nicht, dass das gut für Großbritannien ist.“

Vor allem gegen den Widerstand aus Paris warb Merkel am Mittwoch für eine rasche Stärkung der Währungsunion mit „echten Durchgriffsrechten“ für Brüssel. Der Dezembergipfel müsse dafür einen „ehrgeizigen Fahrplan“ mit „konkreten Maßnahmen“ beschließen, die „wir in den kommenden zwei drei Jahren umsetzen wollen“, sagte sie. Frankreichs Staatschef François Hollande lehnt solche Eingriffe auf absehbare Zeit strikt ab.

Auch die Wirtschaftspolitik will die CDU-Chefin europäisieren, und zwar bis in „Kernbereiche der nationalen Souveränität“ wie die Arbeitsmarkt- oder Steuerpolitik. „Die europäischen Institutionen müssen gestärkt werden, um Fehlverhalten und Regelverstöße wirksam korrigieren zu können“, so die Kanzlerin. Dafür sollen die Regierungen durchsetzbare Reformvereinbarungen mit der Kommission schließen.

Für ihre Vorschläge wäre eine Änderung der EU-Verträge notwendig, von der Frankreich bislang nichts wissen will. Hollande hatte auf dem Gipfel im Oktober mit Blick auf den noch nicht in Kraft getretenen Fiskalpakt gegiftet, erst müssten die schon beschlossenen Verträge ratifiziert werden, bevor man über weitere Schritte sprechen könne. Einem Verfassungskonvent noch vor der EU-Parlamentswahl 2014 hatte er eine klare Abfuhr erteilt.

An einer weiteren Stelle ist die Achse Paris-Berlin gebrochen: Hollande will ein Europa „der verschiedenen Geschwindigkeiten“, also eine Eurozone, die voran prescht und sich eng abstimmt, und eine Peripherie drum herum. Dagegen wehrte sich Merkel am Mittwoch entschieden: Es gebe keinen „abgeschlossenen Club der Euroländer“, sagte sie. Sie werde sich dafür einsetzen, dass eine vertiefte Währungsunion „nicht zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten führt, sondern eine Union mit doppelter Kraft schafft“. Eine Aussage, für die ihr die Volksvertreter viel Beifall spendeten.

In der lebhaften Debatte gab sich Merkel sogar als Visionärin von „Vereinigten Staaten von Europa“ zu erkennen. „Ich bin dafür, dass die Kommission eines Tages so etwas wie eine europäische Regierung ist“, sagte sie am Mittwochabend vor dem EU-Parlament in Brüssel. „Und ich bin dafür, dass der Rat so etwas ist wie eine zweite Kammer. Und ich bin dafür, dass das europäische Parlament für die europäischen Zuständigkeiten eintritt. Anders wird es nach meiner Auffassung auf die lange Strecke gar nicht gehen.“

Einen zeitlichen Horizont für ihre vage Vision nannte sie nicht, machte aber klar: „Heute müssen wir erst mal den Euro retten, und das Fundament ordentlich bauen.“ Dafür müsse den Menschen „ein Stück Zeit“ gegeben werden, damit diese auch mitkämen.