Viel Schwarzarbeit, wenig Fachkräfte. Die Diskussion bei Günther Jauch lief ins Nichts – bis eine Ex-Ministerin dem Moderator ins Wort fuhr.

Hamburg/Berlin Schwarze Stunde für den Kümmerer der Nation: So hatte sich Millionen-Talker Günther Jauch seine Pflege-Diskussion in der ARD nach dem Polizeiruf nicht vorgestellt. Ausgerechnet eine bei Experten unbeliebte Ex-Ministerin lief Jauch den Rang ab in Sachen mitfühlen und argumentieren. Ulla Schmidt, acht Jahre zähe Gesundheitsministerin der SPD, wusch dem Star-Moderator den Kopf.

Ein smarter Schweizer namen Martin Woodtli durfte sein Modell der Pflege in Thailand in bunten Farben preisen. Der Einspielfilm war pure Werbung. In seinem Alzheimer-Zentrum unter tropischen Palmen kostet ein Platz zwar auch 2700 Euro im Monat. Doch gleich drei Thai-Damen kümmern sich rund um die Uhr um den maladen Patienten aus rich old Germany. Die Damen sprechen kein Deutsch, die Pflegebedürftigen kein Thai – aber so stellt sich der alemannische Senior am Sonntagabend doch den Herbst seines Lebens vor. Nur, gibt Thai-Pflegeunternehmer Woodtli zu: „Der größte Teil der Patienten kann sich sowieso nicht mehr richtig artikulieren.“

Günter Schröder, Leiter eines katholischen Altenheims, sekundiert: Ja, eine Rund-Um-die-Uhr-Betreuung à la Thai könne man in Deutschland nicht bieten. Die bösen Gesetze verlangten, dass man „Personal vorhält“, das auch noch zu 54 Prozent eine Fachkraftausbildung haben muss. Heißt umgekehrt: Nur noch jeder zweite Pflegemitarbeiter muss überhaupt vom Fach sein. Moderator Jauch nimmt’s leicht: „Braucht man so viele Fachkräfte? Reicht nicht auch ab und an ein Lächeln?“

Da platzt Ulla Schmidt der Kragen. So sanft sie kann, sagt sie: „Die Menschen brauchen nicht bloß ein bisschen Zuwendung. Die Würde endet nicht mit dem Verlust kognitiver Fähigkeiten.“ Das war auf die Demenzkranken gemünzt, deren Zahl in den kommenden Jahren deutlich ansteigen und die Kosten in der Pflege weiter treiben wird. Und diese Thailand-Idee ist für die frühere Gesundheitsministerin Kokolores: „Wenn sich die deutsche Politik darauf spezialisieren würde, wäre das falsch.“ Ihr Appell an die deutschen Heime: „Man muss die Leute anständig bezahlen, die jeden Tag in den Einrichtungen gute Pflege leisten.“

Jauch überhört den Einwand. Weiter geht’s im Pflege-Takt. Tausendmal gehört, tausendmal ist nichts passiert: Jauch behauptet, in Deutschland arbeiteten 100.000 Polinnen schwarz in der Pflege bedürftiger Personen. Woher kommt die Zahl? Kein Beleg. Dass diese Frauen nur notdürftig die Lücken stopfen, die es in der Pflege gibt, ist ja klar. Pflegenoten in den Heimen, Mindestlöhne für die Pflege, mehr Anerkennung – die Schlagworte sind schnell gewechselt. Der Altenheimleiter spricht von Fällen, in denen sich Bewohner die Pflege nicht mehr leisten können. Gesundheitsexperte Jens Spahn (CDU) hält dagegen: Na, das will er aber wissen, wer da nicht zahlt. Überhaupt der aufgeweckte Spahn, 32, und die ausgefuchste Schmidt, 63: Das roch in der ernsthaften Auseinandersetzung mit der Pflege nach Großer Koalition. Das muss nicht schlecht sein, denn die Pflegereform des FDP-Gesundheitsministers Daniel Bahr ist in den Kinderschuhen stecken geblieben.

Dreimal so alt wie Spahn oder Bahr ist Helmi Uebach, 96, Publikumsgast bei Jauch. Sie wollte ins Heim, aber: „Ich habe drei Nächte durchgeheult. Man ist wildfremden Leuten ausgesetzt, zum Teil sind Demente unter den Mitbewohnern.“ Dann hat sie sich mit der neuen Umgebung arangiert. Früher habe man noch ein Schwätzchen halten können. „Aber den Pflegern fehlt heute die Zeit, weil es nicht mehr so viel Personal gibt“, klagt die fit wirkende Seniorin.

Frau Uebach bekennt bei Jauch außerdem: Ja, dessen Sendung schaut sie ab und an. Aber auch die der WDR-Moderatorin Bettina Böttinger. „Und viertel vor zehn abends gucke ich noch mal Nachrichten.“ Im ZDF. Das wird RTL- und ARD-Mann Jauch nicht beglücken, dass er ausgerechnet in seiner Kernzielgruppe der über 90-Jährigen an diesem Abend nicht punkten kann.