Der Präsident entdeckt die deutsch-französische Achse. Merkel und Hollande legen Basis für schwierige Diskussionen.

Ludwigsburg. Wenn man die deutsch-französischen Beziehungen am Wetter messen würde, dann haben rosige Zeiten begonnen. Denn kurz bevor Frankreichs Präsident François Hollande am Schloss Ludwigsburg landet, verziehen sich die dunklen Wolken. Die Sonne strahlt auf den Schlossvorplatz als Bundeskanzlerin Angela Merkel „François“ - wie nun bei jeder Begegnung – mit Küsschen begrüßt. Beim Antrittsbesuch des Sozialisten in Berlin Mitte Mai hatte ihn dagegen noch ein Blitzeinschlag in seine Regierungsmaschine zur Umkehr gezwungen, was wie ein schlechtes Omen für die schwierigen kommenden Beziehungen der Konservativen zu dem Sozialisten empfunden wurde.

Doch auch Hollande kann sich offenbar der einigenden Wirkung der deutsch-französischen Versöhnungssymbolik nicht mehr entziehen. „Statt die Flamme der Freundschaft nur am Brennen zu halten, ist es unsere Pflicht, sie jeden Tag neu zu entzünden“, sagt er in seiner Rede in dem baden-württembergischen Städtchen. Allein der Anlass des Treffens – der 50. Jahrestag der Rede von Charles de Gaulle an die deutsche Jugend – zwingt ihn dazu. „Deutschland und Frankreich haben eine außerordentliche Verantwortung. Wir bilden das Herz Europas“, sagt er. Zufrieden vermerkt man auf der deutschen Seite, dass nichts mehr geblieben ist von der Kritik an deutsch-französischen Absprachen, die Hollande noch im französischen Präsidentschaftswahlkampf geäußert hatte, um sich von Amtsinhaber Nicolas Sarkozy abzusetzen. Als Geste folgt am Ende der Rede sogar eine kleine Passage in gebrochenem Deutsch.

Ludwigsburg markiert nach dem Erinnerungstreffen an den „Versöhnungsgottesdienst“ in der Kathedrale von Rheims im Sommer und Hollandes Stippvisite im Kanzleramt Ende August den endgültigen Bruch mit seiner Wahlkampfpositionierung. Auch Hollande wird sich wie alle französischen Präsidenten – und deutschen Kanzler – jetzt in die Tradition der „deutsch-französischen Achse“ stellen. Nicht ohne Hintergedanken zeigte die deutsche Regie bei den Feierlichkeiten den mehreren hundert Gästen auf dem Schlossplatz einen Film, der nicht nur die Rede von Charles de Gaulle vom 9. September 1962 am selben Ort zeigte – vorgetragen in dessen dramatisch klingender Sprechweise, aber in makellosem Deutsch. Garniert wird dies noch mit Bildern der politischen Pärchen François Mitterrand/Helmut Kohl, Valery Giscard d’Estaing/Helmut Schmidt, Jacques Chirac/Gerhard Schröder – und Sarkozy/Merkel, bei dem sogar spontaner Applaus aufbrandet. Die versteckte Botschaft an Hollande: Willst du dich wirklich außerhalb dieser Tradition stellen?

Aber Ermahnungen sind in Ludwigsburg gar nicht mehr nötig. Merkel und ihr Gast fahren demonstrativ gemeinsam im Auto zu dem vertraulichen Mittagessen in dem Örtchen Asperg. Und auch die Kanzlerin lässt keine Gelegenheit aus, um die entstehende und bereits entstandene Vertraulichkeit der beiden zu betonen. „Lieber François“ und „Lieber François Hollande“ steht einem distanzierteren „Lieber Herr Kretschmann“ gegenüber, als sie den Ministerpräsidenten Baden-Württembergs anspricht. Natürlich nehmen beide zusammen ein Bad in der Menge Schaulustiger im Schloss. In der gemeinsamen Pressekonferenz nimmt die Kanzlerin ihn bei Fragen nach sinkenden Popularitätswerten gar in Schutz.

Dabei wissen beide, dass sie damit nur die Basis bilden, um erhebliche Meinungsdifferenzen ausräumen zu können. Im Vorfeld des Besuchs hatte sich neuer Streit über die Zukunft des deutsch-französischen EADS-Konzerns angedeutet. Differenzen gibt es in der Euro-Krise von der Bankenunion, Eurobonds bis zur Politischen Union. Aber auch dieses Wort, das Hollande wegen der drohenden Übertragung nationaler Kompetenzen auf europäischer Ebene lange scheute, nimmt er in seiner Rede in den Mund.

Das könnte allerdings seinen Preis haben. Als Gegenleistung für sein klares Bekenntnis der privilegierten Absprachen mit Berlin erhofft sich Hollande nun Schützenhilfe der Kanzlerin. Der Präsident, der nach seinem Wahlsieg zunächst selbstbewusst einen neuen Kurs in der EU ausrief, steht nun innenpolitisch erheblich unter Druck. Anfang Oktober muss er in der Nationalversammlung kämpfen, um die zugesagte Zustimmung zum ungeliebten Fiskalpakt für eine straffere Haushaltsdisziplin durchsetzen zu können. Dafür hat er seinen Sozialisten ein großes europäisches Gesamtpaket versprochen, das neben dem Fiskalpakt und dem Pakt für Wettbewerbsfähigkeit auch die schnelle Umsetzung der Bankenunion enthält.

Und Hollande hat in Ludwigsburg wohl auch gemerkt, dass er sich keine Illusionen über einen dramatischen Kurswechsel nach einem möglichen Regierungswechsel nach der Bundestagswahl 2013 machen sollte. „Wir brauchen Solidarität, aber auch Solidität auf dem Weg zurück zu einem starken Europa“. Diesen Satz sagt in Ludwigsburg nicht etwa Merkel, sondern der Grünen-Politiker Winfried Kretschmann. Hollande merkt daher zum Abschluss an: „Dieser Tag war in vieler Hinsicht symbolischer Natur.“