Nach dem Terroranschlag im Nord-Sinai hat Ägypten den Grenzübergang zum Gazastreifen wieder geschlossen. Die Menschen in dem Gebiet am Mittelmeer sitzen in der Falle – haben aber Auswege gefunden.

Gaza. „Sobald ich hörte, dass wieder alle Wege raus aus dem Gazastreifen blockiert sind, fühlte ich mich wie eingepfercht“, erzählt ein Bewohner des Gebiets am Mittelmeer. Und so wie dem Mann, der seinen Namen nicht genannt haben möchte, geht es vielen der 1,8 Millionen Bewohner des Gebiets, das sogar noch etwas kleiner als das Bundesland Bremen ist.

Zu wirtschaftlicher Not und ständigem Treibstoffmangel infolge der jahrelangen israelisch-ägyptischen Blockade kommt jetzt noch die bittere Enttäuschung, dass Ägypten den gerade erst wieder geöffneten Grenzübergang Rafah nach dem verheerenden Anschlag auf einem Militärkontrollposten mit 16 Toten wieder geschlossen hat und auch gegen die Schmugglertunnel unter der gemeinsamen Grenze vorgeht.

„Das sind die Luftlöcher, durch die viele hier atmen“, sagt der Mann aus Gaza-Stadt. Dabei hatten die Menschen so große Hoffnungen auf den neuen ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi gesetzt. Er kommt aus der Bewegung der Muslimbruderschaft, genauso wie die Hamas. Mursis Macht aber ist begrenzt, in Sicherheitsfragen entscheidet das ägyptische Militär, das der Hamas feindlich gesinnt ist. Alle Schmugglertunnel würden zerstört und Rafah bleibe vorerst geschlossen, hatte das Militär gleich nach dem Anschlag am Sonntagabend angekündigt. Die Behauptung, die Attentäter seien durch Tunnel aus dem Gazastreifen gekommen, ist jedoch nicht belegt.

Aber so heiß wird die Suppe nicht gelöffelt, wie sie gekocht wurde. Dafür verdienen zu viele auf beiden Seiten der Grenze gut an dem Handel. Allein auf der Gaza-Seite sollen 4000 Menschen direkt in und an den Tunneln arbeiten. Von den schätzungsweise 400 Tunneln hätten die Ägypter nur etwa 25 zerstört oder geschlossen, berichten Bewohner von Rafah. „Einige Tunnel werden weiter benutzt“, sagt der Besitzer einer dieser Röhren, durch die Lebensmittel, Haushaltswaren und sogar ganze Autos aus Ägypten kommen.

Insgesamt aber herrscht an den sonst so wühligen Tunnelausgängen auf der Gazaseite eine gespenstische Ruhe. „Es ist wie auf einem Friedhof, auf dem sich keine Menschenseele blicken lässt“, erzählt der Tunnel-Betreiber: „Dies wird den Alltag für die Menschen noch schwerer machen. Wenn es länger so bleibt, wird es eine humanitäre Krise geben“. Die Hamas steckt in der Klemme. Sie will es sich nicht mit Ägypten verscherzen und zugleich die Menschen bei Laune halten. Mushir Al-Masri von der Hamas versucht den Unwillen auf die „Zionisten“ abzulenken. Die seien an allem Schuld. Rami Al-Chadli, ein 30 Jahre alter Taxifahrer, klagt jedoch über Wucher der eigenen Leute: „Die Kaufleute haben große Vorräte an Schmuggelwaren angelegt. Kaum hörten sie von der Schließung der Tunnel, haben sie die Preise um bis zu 60 Prozent angehoben“.

Wirklich Verlass ist in diesem Augenblick nur auf den Erzfeind Israel. Über den gleich nach den Anschlägen wieder geöffneten Kontrollpunkt Kerem Schalom kamen am Dienstag und Mittwoch nach offiziellen Angaben mehr als 12 000 Tonnen Lebensmittel und andere Versorgungsgüter. Für die Hamas ist das zwar eine Hilfe, weil es die Versorgung sichert. Nur abkassieren kann sie da nicht so wie bei den Schmugglern. Und demütigend ist es für sie auch. Für Menschen gibt es im Augenblick jedoch kein Schlupfloch mehr. Kranke, die zur Behandlung ins Ausland müssten, Angehörige, die ihre Familien besuchen möchten oder Menschen, die einfach nur mal raus wollen, sitzen in der Falle. „Wenn sich die Versorgungslage weiter verschlechtert, ist nicht ausgeschlossen, dass verzweifelte Menschen wieder versuchen werden, gewaltsam durch die Grenze nach Ägypten zu brechen“, meint ein Journalist in Gaza-Stadt. So wie 2008, als Tausende den Grenzzaun niederrissen und nach Ägypten strömten.

(dpa)