Internet-Nutzer wehren sich gegen angebliche Zensur. Noch nie gab es so einen Ansturm bei einer Online-Petition. Widerstand per Internet wird zur Demonstration der Neuzeit. SPD-Linke will das Gesetz noch verhindern.

Hamburg. Der Protest wächst und wächst und wächst. Täglich unterzeichnen neue Internet-Nutzer die Online-Petition gegen die Sperrung von kinderpornografischen Internetseiten. Gestern waren es schon fast 116.000 digitale Unterschriften und damit ist der Rekord längst gebrochen. Mit ungeahnter Wucht und einer ganz neuen politischen Macht wehrt sich die Internetgemeinde gegen die Sperrungen, die in ihren Augen nichts anderes als Zensur sind. Für den Parteitag am Sonntag hat zudem die SPD-Linke nach einem Bericht von "Spiegel Online" einen Initiativantrag vorbereitet, in dem die SPD-Bundestagsfraktion aufgefordert wird, das Gesetz in letzter Minute zu verhindern. Auch da lautet der Vorwurf: Internetzensur.

Kommenden Dienstag läuft die sechswöchige Frist, in der eine Online-Petition „unterschrieben“ werden kann, ab. Doch die 50.000 Teilnehmer, die nötig sind, damit es im Petitionsausschuss des Bundestages eine öffentliche Anhörung zu dem Thema gibt, hatte die Initiatorin Franziska Heine schon nach vier Tagen erreicht. Auch das ist ein Rekord. Wenn es so weit ist und die Berlinerin Franziska Heine – wohl erst nach der Bundestagswahl – angehört wird, ist das Gesetz vielleicht schon verabschiedet. Doch schon jetzt hat die Bloggergemeinde gezeigt, wie schnell sie online Widerstand mobilisieren und politischen Protest ausdrücken kann. Das hinterlässt sehr wohl einen Eindruck bei den Abgeordneten, wie der neue Vorstoß für den SPD-Parteitag jetzt zeigt.

„Das ist ein Schneeballeffekt“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Jan-Hinrik Schmidt vom Hamburger Hans-Bredow-Institut für Medienforschung abendblatt.de. „Graswurzelbewegung“ nennt er diese Basis der Blogger und Twitter, über die die Petition bekannt gemacht wurde. Über den Weg schaffte es die Nachricht bis in die Berichterstattung in den Online-Medien, dann ins Radio, Fernsehen und in die Tageszeitungen. Vor allem, weil sich die Internetgemeinde bei dem Thema direkt betroffen fühlt, sei die Unterstützung so groß, meint Schmidt. Er hält den Vorstoß von Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), zum Schutz der missbrauchten Kinder den Zugriff auf die Internetseiten zu erschweren, für den berühmten Tropfen der das Fass innerhalb der Internetgemeinde zum Überlaufen brachte. „Es geht um das weite Feld der Informationsfreiheit“, sagt Schmidt. Und die sehen viele Internetnutzer schon durch die möglichen Online-Durchsuchungen zu Terrorabwehr in Gefahr. Jetzt ist genug. Ursula von der Leyen hat deswegen den Spitznamen „Zensursula“ weg.

Die Blogger fordern in der Petition den Bundestag auf, „die Änderung des Telemediengesetzes nach dem Gesetzentwurf des Bundeskabinetts vom 22.4.09“ abzulehnen. In der Petition heißt es: „Wir halten das geplante Vorgehen, Internetseiten vom BKA indizieren & von den Providern sperren zu lassen, für undurchsichtig & unkontrollierbar, da die ,Sperrlisten’ weder einsehbar sind noch genau festgelegt ist, nach welchen Kriterien Webseiten auf die Liste gesetzt werden. Wir sehen darin eine Gefährdung des Grundrechtes auf Informationsfreiheit.“ Den Schutz der missbrauchten Kinder und die Bekämpfung der Verbreitung von Kinderpornografie unterstützen sie in ihrer Begründung. Doch die Stoppschilder für die entsprechenden Seiten halten sie für „denkbar ungeeignet“ dafür.

Die Stoppschilder sollen erscheinen, sobald jemand Seiten anklickt, die vom Bundeskriminalamt (BKA) wegen ihrer kinderpornografischen Inhalte gesperrt wurden. Das BKA wird dazu eine Liste mit etwa 1000 Internetadressen erstellen, die täglich aktualisiert wird. Fünf der größten Provider haben sich bereits freiwillig bereit erklärt, die Sperrungen technisch umzusetzen. Die anderen sollen nun mit dem entsprechenden Gesetz dazu gezwungen werden. Es hat gute Chancen noch vor der Sommerpause verabschiedet zu werden. Das Petitionsverfahren kann darauf keinen Einfluss mehr haben.

Dennoch ist die Diskussion weiterhin hitzig. Neben den Unterzeichnern der Petition gibt es dazu auch schon mehr als 9700 Beiträge in dem angeschlossenen Forum. Die Zensur ist darin das große Thema. Nicht nur die, die angeblich durch die Sperrung der kinderpornografischen Internetseiten entsteht, sondern auch die innerhalb des Forums. Sobald nämlich der Ausschussdienst als Administrator unerlaubte Beiträge (beleidigend, verletzend, verlinkt) löscht, entbrennt eine empfindliche Diskussion um die Rechtmäßigkeit. Dabei gibt es dann auch schon mal den versteckten Tipp, Beiträge erst Freitag Nachmittag einzustellen. Weil dann der Administrator möglicherweise nicht mehr da ist, steht der Beitrag möglicherweise mit Montag Morgen im Forum.

Sind Online-Petitionen so etwas wie die Demonstrationen des Internetzeitalters? Schließlich ist es einfacher per Mail eine Petition zu unterzeichnen und den politischen Apparat damit in Schwung zu bringen, als bei einer Demonstration auf die Straße zu gehen. In „gewissem Sinne“ sei das so, sagt Kommunikationswissenschaftler Schmidt. Er glaubt allerdings nicht, dass der Internetprotest die Demonstration ablöst. Doch entsteht eine neue Möglichkeit des Protestes.