Sie stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die Rabbiner fordern: Beschneidungen müssen in Deutschland vollkommen legal sein. Von „religiös motivierten Kindesmisshandlungen“ sprechen dagegen Kinderschützer. Eine schwierige Lage für die Politik.

Berlin. Der Streit über rituelle Beschneidungen von Jungen hat nochmals an Schärfe zugenommen. Die Kinderhilfe warnte vor einem „Blankoscheck für religiös motivierte Kindesmisshandlungen“. Sie verteidigte die Kölner Richter, die in Beschneidungen strafbare Körperverletzungen sehen. Dagegen erklärte die Rabbinerkonferenz: „Verantwortungsbewusste Beschneidungen müssen weitergehen dürfen - vollkommen legal und gesetzlich abgesichert.“ Nur so könne Religionsfreiheit in Deutschland glaubwürdig Bestand haben, schrieb ihr Vorsitzender Henry Brandt in der „Bild am Sonntag“.

Die Bundesregierung hatte am Freitag auf einen Proteststurm von Juden und Muslimen gegen das Urteil reagiert und angekündigt, Rechtsklarheit schaffen zu wollen. Konkrete Vorstellungen für ein Gesetz gibt es aber noch nicht. Rabbiner Brandt betonte, im Judentum wie im Islam sei die Beschneidung von Knaben „fundamental“. Deshalb sei es „wohltuend, dass die Bundesregierung jetzt angekündigt hat, in dieser leidigen Angelegenheit Rechtssicherheit zu schaffen“.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) lässt der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ zufolge prüfen, wie die Beschneidung von Jungen rechtssicher möglich gemacht werden kann. Die Formulierung eines Gesetzes sei mit erheblichen rechtstechnischen Schwierigkeiten verbunden. Insbesondere solle ausgeschlossen werden, dass auch Mädchen beschnitten werden könnten.

Die Kinderhilfe kritisierte, dass im Beschneidungs-Streit das Thema Religionsfreiheit dominiere. Regierungssprecher Steffen Seibert sei in seiner Ankündigung einer Regelung „nicht mit einer Silbe“ auf den Aspekt des Kindeswohls eingegangen. Die Kinderhilfe forderte, zwischen den Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit und Religionsfreiheit abzuwägen. „Eine gesetzliche Regelung kann nur den Einstieg in den Ausstieg der Beschneidung in Deutschland bedeuten.“

Die Ärztekammer begrüßte das Versprechen der Regierung, Rechtssicherheit schaffen zu wollen. „Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir das Urteil für sehr kulturunsensibel und falsch halten“, sagte Frank Ulrich Montgomery dem „Tagesspiegel“ (Sonntag). Gleichzeitig riet er den Mitgliedern der Kammer davon ab, derzeit zu beschneiden. Für Ärzte bestehe die Gefahr der Bestrafung.

Der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, mahnte ebenfalls eine verbindliche Regelung an. Der derzeitige Schwebezustand sollte nicht zu lange dauern, sagte der Chef der drittgrößten deutschen Ärztekammer der Nachrichtenagentur dpa. „Unsere Sorge ist, dass jetzt Beschneidungen stattfinden, die nicht unter den notwendigen medizinischen Voraussetzungen erfolgen.“

Der Fall des beschnittenen Jungen, der zu dem umstrittenen Urteil des Landgerichts Köln geführt hat, war laut einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ medizinisch wohl schwerwiegender als bisher bekannt. Der vier Jahre alte Junge sei zwei Tage nach seiner Beschneidung mit Nachblutungen in eine Kindernotaufnahme gekommen. Aus einem Arztbrief gehe hervor, dass dort eine „urologisch-chirurgische Revision“ der Beschneidung in Vollnarkose erfolgt sei.

Trotzdem habe ein vom Landgericht beauftragter Gutachter dem beschneidenden Arzt bescheinigt, dass der Eingriff „nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt“ worden sei. Nachblutungen seien mögliche Komplikationen nach Beschneidungen.

Aus der jüdischen Gemeinde kommt weiter scharfe Kritik an dem Kölner Urteil. Der baden-württembergische Landesrabbiner Netanel Wurmser äußerte sich entsetzt: „Das weckt Erinnerungen an schlimmste Szenarien jüdischer Verfolgung“, sagte er.

In der Linkspartei stößt das umstrittene Kölner Urteil auf Zustimmung: Der religionspolitische Sprecher Raju Sharma sagte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, eine Beschneidung sei ein „schwerer Eingriff“ in die körperliche Unversehrtheit eines Kindes. Diese habe der Staat zu schützen. Dagegen müssten die auf religiösen Traditionen begründeten Wünsche der Eltern zurückstehen.

Bedenken gegen eine gesetzliche Erlaubnis der rituellen Beschneidung von Jungen gibt es in der CSU. Thomas Silberhorn, Obmann im Bundestags-Rechtsausschuss, sagte der Zeitung, dass jede Ohrfeige den Tatbestand der Körperverletzung erfülle – „also auch die männliche Beschneidung“. Er plädierte für eine Straffreistellung wie bei der Abtreibung: „Sie bleibt rechtswidrig, wird aber unter bestimmten Voraussetzungen nicht bestraft.“ (dpa)