Was vier Wochen nach den Attacken vom 11. September als rasche Racheaktion gegen Terroristen begann, wurde zum längsten und teuersten Krieg für die USA.

Washington. Das neue Zeitalter des Krieges beginnt für die USA mit der Entführung von vier Flugzeugen. Am 11. September 2001 steuern Terroristen die Passagierjets ins World Trade Center in New York, ins Pentagon in Washington, ein viertes stürzt auf ein Feld bei Pittsburgh. Fast 3000 Amerikaner sterben. Präsident George W. Bush macht schnell das von radikal-islamischen Taliban beherrschte Afghanistan als Basis der „barbarischen Kriminellen“ aus und schickt nur vier Wochen nach den Anschlägen seine Armee an den Hindukusch. Er will das Terrornetzwerk Al Kaida zerschlagen, dessen Anführer Osama bin Laden ausschalten.

Für die Operation „Dauerhafte Freiheit“ (Enduring Freedom) erhält Bush international beispiellose Unterstützung. „Wir werden nicht wanken, wir werden nicht müde werden, wir werden nicht zaudern, und wir werden nicht versagen“, verspricht er am Abend jenes 7. Oktober seinem Volk in einer Fernsehansprache. Die Sender melden euphorisch: „America strikes back“ (Amerika schlägt zurück). Doch genau zehn Jahre später ist der Krieg für die Amerikaner nur noch ein Alptraum - sie sind müde, sie wanken und zaudern. Versagen ist kein Fremdwort mehr. Was für Bush als Rachefeldzug gegen eine „Terroristenfabrik" begann, ist unter seinem Nachfolger Barack Obama zum längsten, teuersten und vielleicht kompliziertesten Konflikt der US-Geschichte geworden. Die Zahl der am Hindukusch gefallenen US-Soldaten beträgt fast 1800, der zurückliegende August war für die US-Streitkräfte der blutigste. Das Magazin „Newsweek“ spricht längst von einem neuen Vietnam, die „New York Times“ von einem ausweglosen Krieg.

Obama will dennoch einen Ausweg gefunden haben. In drei Jahren sei der Kampfeinsatz beendet, kündigt er unablässig an. Rund ein Drittel seiner 100 000 Truppen holt er schon bis Sommer 2012 heim. Kritiker meinen, der Termin solle ihm persönlich helfen: Bilder zurückkehrender Soldaten, die ihren Familien um den Hals fallen, würden ihm im Wahljahr viel Auftrieb geben. Dabei war es der Friedensnobelpreisträger selbst, der die Zahl am Hindukusch kämpfender Amerikaner verdreifachte. Seine „Exit-Strategie“ baut Obama vor allem auf die gelungene Liquidierung Bin Ladens im Mai auf. „Wir haben Al Kaida auf einen Pfad zu ihrer Niederlage gebracht“, sagte er, als er im Juni seine Abzugspläne vorstellte. Wie der Wiederaufbau in Afghanistan nach Ende des Krieges weitergehen soll, ließ er offen. Dabei sei diese Frage entscheidend, moniert Anthony Cordesman vom Center for Strategic und International Studies in Washington: „Um Hoffnung auf einen richtigen Sieg zu haben, brauchen wir einen Plan für den Übergang.“

Mehr Ausbilder für die Sicherheitskräfte in Afghanistan, mehr Experten für Justiz und Verwaltung, neue Schulen und Krankenhäuser kosten Geld. Bereits jetzt haben die USA laut der „Washington Post“ fast 600 Milliarden Dollar (440 Milliarden Euro) am Hindukusch ausgegeben – und das komplett auf Pump finanziert. „Die Kosten waren enorm und unsere Entscheidungen, wie wir sie bezahlten, haben die US-Konjunktur tiefgreifend beschädigt“, meint Joseph Stiglitz, Träger des Wirtschaftsnobelpreises. So stellt auch Obama klar, dass es nun Zeit sei, sich „auf den Bau unserer Nation hier daheim zu konzentrieren". Selbst die meisten Republikaner verabschiedeten sich mittlerweile aus dem Kreis der Kriegsverfechter. Jeder ihrer aussichtstreichen Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur legte sich für einen etwaigen Wahlsieg auf einen schnellen Abzug der Truppen fest. Anders wäre mit dem kriegsmüden Volk die Wahl im kommenden Jahr wohl kaum zu gewinnen.

Doch wer auch immer nach November 2012 im Weißen Haus das Sagen haben wird, Afghanistan wird er nicht von seiner Agenda streichen können. Bis 2025 oder 2030 werde es dauern, bis das Land ohne fremde Hilfe überlebensfähig sei, meint Cordesman. Bis dahin müssten die USA für den Aufbau weiter in die Tasche greifen. Gleiches gelte für die Folgekosten des Krieges. Auf bis zu 900 Milliarden Dollar würden sich die Renten und die medizinische Versorgung für Afghanistan-Veteranen in Zukunft in der überschuldeten Staatskasse auftürmen, schreibt Stiglitz. Kosten für die Zinsen auf die Schulden und den Ersatz verschlissener militärischer Ausrüstung sind dabei noch nicht einmal eingerechnet.

Aller Unpopularität und düsterer Aussichten zum Trotz: Rückblickend auf die Terrorangriffe von 9/11 gestehen auch kritische Kommentatoren ein, dass die USA mit ihrem Afghanistan- und auch dem Irak-Krieg auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. Dass in der Dekade des Krieges die Terroristen weitgehend entwaffnet und besiegt wurden, sei „eine historische Leistung“, schreibt der Kolumnist Charles Krauthammer. Dies nun einfach zu verleugnen sei schlicht „Nonsens“.