Wettlauf um Öl und Gas in der schmilzenden Region. Die Russen sehen die Arktis und ihre Bodenschätze als Fortsetzung des Landes.

Archangelsk. Russland macht seine Ansprüche auf die immensen Bodenschätze in der Polarregion geltend. „Die Hälfte der Arktis gehört Russland“, behauptet Anton Wassiljew, Sonderbotschafter im Moskauer Außenministerium. Das größte Land der Erde sei eine „Führungsnation“ in der Region. Das Thema ist längst Chefsache: Zur internationalen Arktis-Konferenz in der nordrussischen Stadt Archangelsk an diesem Donnerstag ist auch Regierungschef Wladimir Putin angekündigt. Bei dem zweitägigem Treffen am Weißen Meer sollen russische Experten beweisen, dass das auf Öl- und Gasexporte angewiesene Land zu Recht ein riesiges Gebiet von rund 1,2 Millionen Quadratkilometern fordert.

Auch sonst tut Moskau alles, um seinen Anspruch zu untermauern: Mehr Grenzsoldaten werden in das Gebiet verlegt, neue Brigaden gebildet, Militärstützpunkte ausgebaut. Ein neuer Hafen ist in Planung.

Patriotische Lieder und Luftballons in den Nationalfarben Weiß-Rot-Blau: Im Stadtzentrum von Archangelsk feiert die Jugend den Wissenschaftler Michail Lomonossow, ein Kind des Nordens – und einer der ersten Polarforscher. Russland ehrt den berühmten Gelehrten im Jahr seines 300. Geburtstages als Vorbild. „Wir haben ihm viel zu verdanken, das haben wir in der Schule gelernt“, erzählt der neunjährige Nikolai. Unter den tief hängenden Wolken friert der Junge in seiner dünnen Kadettenuniform.

Nur wenige Hundert Meter weiter schwenken auch ein paar Dutzend Studenten ihre Fahnen zu Ehren des Helden. An der nächsten Ecke hängen Werbeplakate für die Arktis-Tagung und Putins Regierungspartei Geeintes Russland einträchtig nebeneinander. Die Kundgebung am Lomonossow-Denkmal vor der gleichnamigen Arktis-Universität, dem Konferenzort, ist kein Zufall. Das Gedenken an Lomonossow bildet den perfekten Bezug zu den russischen Ambitionen in der Polarregion.

„Wir sehen die Arktis als unser Haus und als unsere Zukunft“, sagt Sonderbotschafter Wassiljew im Gespräch mit der Agentur Interfax. Moskaus Standpunkt: Der Meeresboden sei eine natürliche Verlängerung des russischen Festlands. Beweise dafür will Moskau im kommenden Jahr dem zuständigen Uno-Gremium vorlegen. Kürzlich lief deshalb eine weitere Forschungsexpedition Richtung Nordpol aus.

Vor allem Öl und Gas, angeblich 25 Prozent der weltweiten Vorräte, aber auch Diamanten und Kohle liegen in gewaltigen Mengen unter dem Eismeer. Die Bodenschätze machen die Region zum Rohstofflager der Zukunft. Und die immer schneller schmelzenden Eismassen erleichtern den Zugang. Es geht um Milliardeneinnahmen. Erst kürzlich vereinbarte der staatliche Ölförderer Rosneft eine Zusammenarbeit mit dem US-Megakonzern Exxon Mobile über die Ausbeutung im Polarmeer.

Ranghohe Vertreter anderer Arktis-Länder fehlen in Archangelsk. Dabei dient die Konferenz unter dem Motto „Dialograum Arktis“, gut 1000 Kilometer nördlich von Moskau, offiziell der Zusammenarbeit. Den Ausbau und den Schutz der Transportwege gelte es zu besprechen, erklärt Wassiljew. Nun, da die Nordostpassage entlang der Nordküste Europas und Asiens im Sommer fast immer eisfrei ist, bietet sich die Strecke auch als alternativer Seeweg gen Fernost an.

Doch gleichzeitig macht Moskau klar, dass es keine Einmischung in seiner „Vorratskammer“ duldet: Nato-Kräfte in der Polarregion seien nicht erwünscht, verkündet das Außenministerium. Und eine waffenfreie Arktis sei derzeit auch nicht in Sicht. Bereits in der Vergangenheit hat Russland immer wieder betont, dass es die Gegend notfalls auch mit militärischer Gewalt verteidigen werde.

Über all die Forderungen und Diskussionen scheint ein großes Problem in Vergessenheit zu geraten – die Umwelt. Naturschützer warnen vor Bohrungen in der Region mit ihren vielen gefährdeten Tier- und Pflanzenarten. Die Arktis sei wegen des Klimawandels eines der sensibelsten Gebiete der Welt, teilt der World Wide Fund for Wildlife (WWF) kurz vor dem Konferenzstart mit. So gebe es etwa noch keine effektiven Mittel zum Schutz vor einer möglichen Ölpest. (dpa)