Reinhold Beckmann eröffnete die neue Talkshow-Saison in der ARD mit prominenten Bekennern. Der Grüne Kretschmann sprach auch über den Schützenverein.

Hamburg. Ein Abend der Bekenntnisse und der Nachrichten. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann will sich dem Bürgerwillen bei Stuttgart 21 beugen. Enoch zu Guttenberg entschuldigte die Plagiatsaffäre seines Sohnes nicht, legte aber eine hohe ethische Messlatte an die eigene Familie. Ex-SPD-Chef Björn Engholm berichtete frank und frei, wie es ist, wenn man aus dem Amt scheidet, weil man einmal gelogen hat. Reinhold Beckmanns soziologisches Quartett in seiner ARD-Talkshow war zwar eine reine Männerrunde – aber eine von Verstehern. Frauenversteher, Politikversteher, Feindversteher. Alle Gäste gaben Verirrungen in ihren Karrierewegen zu. Der alte Guttenberg bekannte gar: Wenn er in Baden-Württemberg Wahlrecht hätte, hätte er dem Grünen Kretschmann seine Stimme gegeben. Und Kretschmann offenbarte: Im Jahr 1968 sei er in den Schützenverein eingetreten. 1968!

Kretschmann sagte bei Beckmann auch, er hoffe auf die Akzeptanz der Volksabstimmung über Stuttgart 21 – ganz gleich, wie sie ausgeht. Wer direkte Demokratie wolle, dürfe sie nicht ablehnen, wenn ihm das Ergebnis nicht passe. Als Ministerpräsident müsse er das Votum der Bürger umsetzen, auch wenn er selbst gegen das Milliardenprojekt ist. „Ich denke, wir müssen irgendwann auch aufhören können, wenn das letzte Wort gesprochen ist. Sonst führen wir ja solche scharfen, spaltenden Kontroversen ewig weiter.“ Die grün-rote Landesregierung plant die Volksabstimmung über den Ausstieg des Landes aus der Projektfinanzierung für Ende November.

Es scheint, als hätte der neue Sendeplatz im neuen ARD-Talkshow-Zirkus aus Beckmann den neuen Maischberger gemacht. Was heißt das für Günther Jauch, der, von RTL kommend, am Sonntag, den 11. September zum ersten Mal im Ersten moderiert? Während Anne Will am Mittwoch mit gemischten Gästen (von Rapper Sido bis Edmund Stoiber) und üblen Quoten (1,2 Millionen, 8,4 Prozent Marktanteil) den neuen Sendeplatz besetzte, holte sich Beckmann eine entspannte Oldie-Runde an den Tisch. Bis dato war Sandra Maischbergers belächelt worden, weil sie so viele Senioren-Runden in ihrer Talkshow machte: „Mumien bei Maischberger“ spottete die TV-Branche. Und nun Betagte bei Beckmann?

Die über 60-Jährigen sind wieder gefragt, seit die Boy Groups in Politik, Wirtschaft und Kultur schwächeln. In der Krise auf die alten Rezepte setzen: Beckmann hat eine Nase dafür. Engholm lobte Kretschmann und teilte gegen den auf dem Karriereweg gestolperten Karl-Theodor zu Guttenberg fein aus: „Der Kretschmann“, so Engholm, „verbreitet nicht so viel Schein – das ist sein Erfolg.“ Mehr Sein als Schein – davon könnte sich Karl-Theodor zu Guttenberg nach seiner Plagiatsaffäre um den erschlichenen Doktortitel eine Scheibe abschneiden. Doch sein Vater Enoch bekannte auch bei Beckmann: Der Sohn bereut. „Glaubwürdigkeit ist die Identität der Familie“, predigte der Alte.

Mit seinem eigenen Vater, dem konservativen Ex-Staatssekretär der Ära Kiesinger/Brandt, habe er in der einen oder anderen Sache über Kreuz gelegen. Aber man habe in Würde gestritten. Und: „Auch ich werde immer meine Kinder lieben, egal was passiert.“ Beckmann hielt dem Ministerpräsidenten Kretschmann seine Irrungen der Vergangenheit vor: Mitglied im Kommunistischen Bund, zwischendurch Ausstieg aus der Politik. Und jetzt als Grüner plötzlich Ministerpräsident im Autoland. Kretschmann sprach von Verirrungen der Jugend. Und er erklärte genau, wie das war, als er mal Schützenkönig wurde. „Man muss auch treffen können.“

Das macht Beckmann nicht schlecht: Sich ranwanzen und dann nachfragen. Erst den Gästen Honig um den Bart schmieren – und dann mit der Rasierklinge absäbeln. Guttenberg, Kretschmann und Engholm beklagten unisono die „Menschenjagd“ auf die Polit-Promis, wenn einer gefehlt hat. Da werde die Familie in Sippenhaft genommen, sagte der Dirigent Enoch zu Guttenberg. „Wer liegt, den tritt man nicht.“ 1,47 Millionen Zuschauer, 10,2 Prozent Marktanteil – Beckmann hatte einen ordentlichen Start in die neue Fernsehsaison. Und die Gäste, um die sich künftig alle ARD-Talker von Jauch bis Plasberg kabbeln, werden eines wissen: Bei Beckmann können sie langsam sprechen, ausreden und werden schlimmstenfalls sanft hingerichtet.