Die einen wollen einen schnellen Afghanistan-Abzug, die anderen einen langsameren. Die Frage für Obama: Kleckern oder klotzen.

Washington. Knapp zehn Jahre nach Beginn des Afghanistan-Krieges läutet Barack Obama den Truppenabzug ein, und es war ein schwieriger Balanceakt. „Die Kriegsflut ebbt ab“, verkündete der US-Präsident der Nation. 33.000 US-Soldaten will er bis Sommer 2012 aus Afghanistan nach Hause holen, 10.000 davon bereits in diesem Jahr. Damit wählte Obama den Mittelweg. Wahrscheinlich enttäuschte er mit seinem Plan Kriegsmüde auch in der eigenen Partei, die auf einen umfangreicheren und schnelleren Abzug gedrungen hatten. Umgekehrt schlug Obama seinen Generälen den Wunsch ab, an der Kampftruppen-Stärke noch zwei Jahre lang möglichst wenig zu rütteln.

Herauskam ein Stufenplan, mit dem nach seiner Einschätzung wahrscheinlich beide Lager leben können – und er selbst damit auch. Der Präsident sprach zur Hauptfernsehzeit, was allein schon viel besagt: Obama weiß, wie viel auf dem Spiel steht. Der Wahlkampf 2012 ist bereits im Gange, in den vergangenen Monaten ist der Druck auf den Präsidenten – und das von links und rechts – immer größer geworden, den versprochenen Truppenabzug zu beschleunigen.

Im Kongress wird angesichts der gigantischen Staatsverschuldung von fast 15 Billionen Dollar um drastische Sparmaßnahmen gerungen, auch soziale Programme sind dabei für die Republikaner kein Tabu. Die Wirtschaft dümpelt vor sich hin, just am Mittwoch, dem Tag der Rede, schraubte die Notenbank ihre ohnehin schon bescheidene Wachstumsprognose noch mal herunter. Nach fast zehn Jahren Afghanistan-Krieg, nach mehr als 1500 Toten allein auf der US-Seite, hat das Gros der sonst so geduldigen und leidensfähigen Amerikaner einfach genug.

In einem Balanceakt versuchte Obama, dieser Stimmung Rechnung zu tragen. Nach dem Abzug der 33.000 Soldaten bleiben zwar immer noch zunächst 70.000 zurück. Aber immerhin präsentierte Obama den auf ein schnelles Ende drängenden Mitbürgern eine Zahl, die sich greifen lässt: Um ein Drittel werden die US-Truppen in Afghanistan spätestens bis September abgespeckt sein – gerade rechtzeitig vor der Wahl.

Und eben weil der Wahlkampf schon angefangen hat, zeigte sich Obama auch populistisch. „Amerika, es ist Zeit, an unserer Nation hier zu Hause zu bauen“, sagte er mit Bezug auf „die vergangenen harten wirtschaftlichen Jahre“. Amerika müsse jetzt ins eigene Volk investieren, „die Innovation entfesseln, die neue Industrien und Jobs schafft“. Auf der anderen Seite können die Generäle noch geraume Zeit auf eine immer noch beachtliche Truppenstärke bauen: Es hätte – aus ihrer Sicht – noch weitaus schlechter kommen können. Zudem hat Obama in seiner Rede offen gelassen, in welchem Tempo der Truppenabzug nach dem Sommer 2012 weitergehen soll. Das lässt zumindest ein gewisses Maß an Flexibilität zu.

Wird dieser Balanceakt funktionieren? Viele Experten waren sich schon im Vorfeld der Obama-Rede einig: Die große Herausforderung in den kommenden Monaten wird nicht darin liegen, den Beginn des Abzugs zehntausender Soldaten zu rechtfertigen, wenn doch führende US-Militärs die Lage in Afghanistan als fragil einstufen. Vielmehr, so sagen sie, wird Obama alle Mühe haben, die Öffentlichkeit bis zum endgültigen Ausstieg bei der Stange zu halten, sie davon zu überzeugen, dass die auf längere Sicht immer noch starke Truppenpräsenz trotz hoher Kosten ihren Sinn hat.

Obama nannte die Fortschritte im Kampf gegen Al-Kaida als eine Hauptbegründung für den beginnenden Abzug. „Al-Kaida ist stärker unter Druck als je zuvor seit dem 11. September“, sagte er. Zusammen mit den Pakistanern sei mehr als die Hälfte der Führung des Terrornetzwerkes ausgeschaltet worden. Genau dieses Argument könnte Obama in den kommenden Monaten zu schaffen machen. Seit der Tötung Osama bin Ladens ist der ohnehin nachlassende Rückhalt für den Afghanistan-Einsatz in noch rasanterem Tempo gesunken. Ein Großteil der Amerikaner hält die US-Aufgabe in Afghanistan schlicht für erledigt – schon jetzt, nicht erst 2014, wenn die Afghanen die Verantwortung für die Sicherheitslage in die eigenen Hände nehmen sollen. (dpa/abendblatt.de)