Der gebürtige Hamburger steht vor ungeahnten Problemen. Von allen Seiten hagelt es derzeit Kritik an Konzepten der Deutschen Bahn.

Berlin/Hamburg. Bahnchef Rüdiger Grube ist umgänglich. Wo sein Vorgänger Hartmut Mehdorn mit harschen, aber kurzen Worten Diskussionen abwürgte, bleibt Grube höflich. Wenn er argumentativ in die Bredouille kommt, neigt er zum Filibustern: Er redet so lange, bis sein Gegner vergessen hat, worum es eigentlich ging. Im Gegensatz zu Mehdorn gilt der 59-jährige Manager auch als konziliant. Diese Fähigkeiten werden in diesen Tagen auf eine harte Probe gestellt.

Dass sein Unternehmen ständig unter öffentlicher Beobachtung steht, wusste Grube schon bei Amtsantritt am 1. Mai 2009. Aber so von allen Seiten wie jetzt hagelte die Kritik doch eher selten auf den Vorstand und die gut 250.000 Mitarbeiter des letzten deutschen Staatskonzerns. Und zum ersten Mal vermittelt Grube den Eindruck, er stehe den Problemen zumindest mittelfristig hilflos gegenüber, weil sie sich angeblich nur in Zeiträumen lösen lassen, die sich nach Jahren berechnen.

Mehdorn scheiterte am Datenschutzskandal bei der Bahn. Diplomingenieur wie er ist auch der Hamburger Grube, der gerne darauf hinweist, dass er aus kleinen Verhältnissen stammt. Er startete seine Karriere ebenfalls in der Luft- und Raumfahrtindustrie. Bei Airbus war er zeitweise Mehdorns Büroleiter. Später beiDaimlerstieg er bis zum Strategievorstand auf. Bei dem Stuttgarter Konzern bekleidete er unter anderem den Posten des Senior Vice President der ehemaligen DaimlerChrysler AG und muss sich in dieser Funktion die Beteiligung an dem letztlich gescheiterten Versuch der Fusion des Daimler-Konzerns mit dem amerikanischen Autobauer anrechnen lassen. Im Gegensatz zu dem DaimlerChrysler-Experiment steht Grube beim derzeitigen Bahnchaos selbst mitten im Rampenlicht.

Grube ist Praktiker. Er startete mit einer gewerblich-technischen Ausbildung im Metallflugzeugbau, studierte Fahrzeugbau und Flugzeugtechnik, Berufs- und Wirtschaftspädagogik, bevor er in der Fachrichtung Arbeitswissenschaften und Polytechnik promovierte. Seine Stationen in der Wirtschaft ab 1989 waren der Maschinenbau-, Rüstungs- und Luftfahrtkonzern Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB), Daimler-Benz Aerospace AG und Airbus. 1992 übertrug Dasa-Chef Jürgen SchremppGrubedie Leitung des Dasa-Werkes in München-Ottobrunn.

Bei Daimler war er Vertrauter des zwischenzeitlich zum Chef des Autokonzerns aufgestiegenen Schrempp und leitete die Chrysler-Übernahme ein, die nach neun Jahren und Milliardenverlusten wieder aufgelöst wurde. Auch an der im Jahr 2000 erworbenen Beteiligung am japanischen Autokonzern Mitsubishi, von der sichDaimlerfünf Jahre später wegen mangelnden Erfolges wieder trennte, warGrubemaßgeblich beteiligt. Von 2001 bis2009 war GrubeVorstandsmitglied beiDaimler, verantwortlich für die Konzernentwicklung und für das Nordostasien-Geschäft.

Mit Grubes Amtsantritt bei der Deutschen Bahn AG wurde nahezu der gesamte übrige Vorstand ausgewechselt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Unternehmensvorstand nicht nur der Vorwürfe wegen der Spitzelaffäre zu erwehren; es waren auch erste Probleme im Personenfernverkehr wegen angeblicher Materialfehler bei den Achsen aufgetreten. Die Berliner S-Bahn konnte schon damals nicht mehr ihrem Verkehrsauftrag vertragsgemäß nachkommen.

Grube nahm mit Bekenntnissen, der Börsengang stehe vorerst nicht zur Debatte, zunächst den Druck vom Konzern und leitete Maßnahmen zur Sicherung des Arbeitnehmer-Datenschutzes ein. Den anhaltenden Mängeln im Personenverkehr, die bei extremen Wetterlagen besonders deutlich zutage traten, konnte er jedoch bislang wenig entgegensetzen. Er verwies auf die langen Vorlauffristen für die Beschaffung neuer Züge und die Weichenstellungen seiner Vorgänger, weshalb die Effizienz seines Krisenmanagements in der Politik, von der Öffentlichkeit ganz zu schweigen, bereits infrage gestellt wird.

Beim Festakt zur Verabschiedung Mehdorns im historischen Lokschuppen des Anhalter Bahnhofs hatte Grube im Sommer 2009 gesagt, er werde seinen Vorgänger nicht schlecht machen, um hinterher selbst gut dazustehen. Es dürfte ihm in diesen Tagen schwerfallen, dieses Versprechen zu halten.

Nach dem Schneechaos bei der Bahn haben die Verkehrsminister der Länder in einer Sonderkonferenz nach Wegen aus der Krise gesucht. Die Bundesländer und kommunalen Zweckverbände als Besteller des regionalen Schienenverkehrs fordern ein Investitionsprogramm für Züge und Gleise. „Wir wollen, dass möglichst viel in das Bahnsystem investiert wird, weil wir dort einen großen Investitionsstau haben“, sagte der Konferenzvorsitzende, Brandenburgs Verkehrsminister Jörg Vogelsänger (SPD), vor Beginn des Treffens. Mehrere Länder verlangen von der Bundesregierung, auf die von 2011 bis 2014 geplante jährliche Zahlung von 500 Millionen Euro der Bahn an den Eigentümer Bund zu verzichten.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schienenpersonennahverkehr (BAG-SPNV), die die Besteller vertritt, kritisierte den Sparkurs der Bahn in den vergangenen Jahren. In Deutschland sei nur jede zweite Weiche beheizt, das reiche nicht, sagte die Hauptgeschäftsführerin der Organisation, Susanne Henckel, im Deutschlandradio Kultur. Zudem müsse es mehr Überholmöglichkeiten für Züge und generell mehr Flexibilität im Schienennetz geben, damit nicht jede Verspätung im Fernverkehr Auswirkungen auf die Regionalverbindungen habe. Für die Kunden der krisengeplagten Berliner S-Bahn stellte der Mutterkonzern Deutsche Bahn eine weitere Entschädigung in Aussicht. Wegen zahlreicher Technikprobleme hatte die S-Bahn ihren Notfahrplan zu Jahresbeginn nochmals eingeschränkt. „Wir denken über eine Lösung nach und werden uns Ende Januar 2011 konkret äußern“, sagte Bahnchef Rüdiger Grube bei einer Anhörung im Verkehrsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses.

Die seit anderthalb Jahren andauernde Krise der S-Bahn habe in den Jahren 2009 und 2010 zusammen 370 Millionen Euro gekostet. Bis 2014 erwartet der Konzern eine Kostenbelastung von insgesamt 700 Millionen Euro, berichtete Grube. „Wir haben bisher eine Milliarde Euro in die S-Bahn investiert, aber noch keinen Euro damit verdient. Wir werden auch bis zum Auslaufen des Verkehrsvertrages mit den Ländern Berlin und Brandenburg Ende 2017 keinen Euro mit der S-Bahn verdienen“, bemerkte der Bahnchef.

Für die zahlreichen Zugausfälle bei der S-Bahn im Dezember machte Grube vor allem den strengen Winter mit viel Schnee verantwortlich. Es habe in diesem Winter bislang fast 1200 Störungen der Antriebsmotoren gegeben, obwohl die S-Bahn „so umfangreich vorbereitet“ gewesen sei wie noch nie zuvor.

Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hatte angekündigt, er wolle in der Regierung dafür werben, die 500-Millionen-Euro-Dividende überwiegend zur Finanzierung von Verkehrsprojekten zu nutzen. Zugleich verteidigte er die Haltung der Regierung, auf die Ausschüttung nicht zu verzichten. Das Bundesfinanzministerium betonte, die Bahndividende sei fest im Bundeshaushalt eingeplant. „Die 500 Millionen Euro, die stehen nicht zur Disposition.“ Dies setze allerdings ein positives Betriebsergebnis voraus – entsprechende Investitionen würden berücksichtigt. Es werde also vorher investiert, bevor die Dividende abgeführt werden könne. Auch ohne Dividende an den Bund habe dieser in den vergangenen Jahren jährlich Investitionszuschüsse in Höhe von rund vier Milliarden Euro geleistet.

Unterdessen gehen in Stuttgart die Proteste gegen das Milliardenbahnprojekt Stuttgart 21 weiter. Kurz nach der Wiederaufnahme sind die Bauarbeiten erneut behindert worden. Nach einer Baupause während der Schlichtung sollte am Montag auf der Nordseite des Bahnhofes eine Baustelle eingerichtet werden. Rund 50 Gegner der geplanten Verlegung des Bahnhofs unter die Erde demonstrierten vor dem Bauzaun gegen den Einsatz von Baufahrzeugen. Im Auftrag der Bahn wollte der Energieversorger EnBW eine Starkstrom-Kabeltrasse verlegen, um Platz für das geplante unterirdische Technikgebäude für Stuttgart 21 zu schaffen. Die Polizei löste am Mittag eine Blockade direkt vor dem Bauzaun auf.