Die Internetplattform WikiLeaks hat fast 400.000 geheime Dokumente über den Irak auf der Internetseite veröffentlicht. Die Dokumente seien, so WikiLeaks-Gründer Julian Assange, klare Beweise für Kriegsverbrechen. Washington und London verurteilten die Veröffentlichung scharf.

Bagdad. Die auf der Internetseite veröffentlichten Geheimdokumente zum Irakkrieg geben der Öffentlichkeit einen ungetrübten Einblick in die Gewalt und die Grausamkeiten des Irakkrieges. Fast 400.000 bislang geheime US-Dokumente zeigen, dass vermutlich 15.000 Zivilisten mehr ums Leben kamen als bisher Gedacht.

Die Internetplattform WikiLeaks veröffentlichte mit den Geheimberichten die größte Enthüllung in der US-Militärgeschichte. Die Regierungen des Iraks und der USA verurteilten die Veröffentlichung. Die Dokumente stammen laut WikiLeaks aus einer geheimen Datenbank des US-Verteidigungsministeriums. Weitere Details wurden nicht bekannt. Demnach seien sie zwischen Anfang 2004 und Ende 2009 erstellt worden. Das Pentagon weigerte sich, die Echtheit der Dokumente zu bestätigen, machte aber auch keine gegenteiligen Angaben. In den Dokumenten berichten zumeist junge Feldoffiziere der amerikanischen Streitkräfte in nüchterner Sprache über die Vielzahl von Angriffen und Anschlägen in dieser Zeit. In ihrer Gesamtheit bieten die Protokolle ein Bild der Brutalität, die in dieser Zeit im Irak herrschte. Sunniten und Schiiten standen kurz vor einem Bürgerkrieg, verschiedene Gruppen von Aufständischen und Terroristen überzogen das Land mit Bluttaten. Die US-Streitkräfte standen oft hilflos dazwischen, ihnen blieb wenig mehr, als die Vorkommnisse zu dokumentieren.

Anschuldigungen gegen irakische Sicherheitskräfte

Aus den Aufzeichnungen lassen sich schwere Anschuldigungen gegen die irakischen Sicherheitskräfte ziehen, die wiederholt Zivilisten, insbesondere Gefangene, misshandelt haben sollen. Es werden zahlreiche Fälle aufgeführt, in denen US-Soldaten Hinweise über Misshandlungen, Folterungen und Morde durch irakische Sicherheitskräfte dokumentiert, an ihre Vorgesetzten gemeldet und den Fall dann geschlossen haben. Unter den nun veröffentlichten Berichten finden sich mindestens 300 derartige Vorfälle. Das Büro des irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki wies die Vorwürfe zurück.

Aber auch die Besatzungstruppen kommen nicht sonderlich gut weg: Laut dem arabischen Sender Al Jazeera geht aus den Dokumenten hervor, dass die US-Streitkräfte und ihre Verbündeten 681 Zivilisten versehentlich töteten, vor allem an Kontrollpunkten und beim Überholen von Konvois. Al Jazeera gehört zu den internationalen Medien, denen WikiLeaks die Dokumente vorab zugänglich machte, ähnlich wie vor der Preisgabe der fast 77.000 Afghanistan-Akten im Juli. Unter anderem wurden die Aufzeichnungen auch dem deutschen Magazin „Der Spiegel„, der US-Zeitung „New York Times„, der französischen „Le Monde„ und dem britischen „Guardian„ zugespielt.

Pentagon bezeichnet Veröffentlichung als „schamlos„

Als "schamlos" verurteilte das Pentagon die Veröffentlichung der Dokumente. Sie könne die Sicherheit der USA gefährden und vor allem den US-Streitkräften im Irak schaden, sagte Pentagon-Sprecher Geoff Morrell. „Unsere Feinde können in den Dokumenten nach Schwachstellen suchen, nach bestimmten Verhaltensweisen - nach Informationen also, die ihnen bei künftigen Anschlägen zugutekommen.„ In den veröffentlichten Geheimakten würden auch 300 Iraker genannt, die nun „besonders anfällig für Vergeltungsangriffe„ seien. Den veröffentlichten 391.832 geheimen Feldberichten von US-Soldaten zufolge starben zwischen 2004 und 2009 insgesamt 104.111 Menschen, darunter 66.081 Zivilisten. Demnach fielen dem Krieg im Berichtszeitraum, wobei für Mai 2004 und März 2009 keine Zahlen vorliegen, täglich 31 Menschen aus der Zivilbevölkerung zum Opfer. Damit sei der Krieg im Irak verheerender als der in Afghanistan, schreibt WikiLeaks auf seiner Website, die am Sonnabend offenbar wegen des großen Ansturms zwischenzeitlich zusammenbrach. Der britischen Antikriegsgruppe Iraq Body Count zufolge sind nach Auswertung der WikiLeaks-Dokumente von Beginn des Krieges bis heute bis zu 15.000 mehr Iraker dem Krieg zum Opfer gefallen, als bislang angegeben. Demnach könnte die Zahl der bisher im Irak-Krieg getöteten Zivilisten bei 122.000 liegen.