Neue Richtlinie der EU: Mehr wertvolle Metalle aus alten Elektrogeräten werden zurückgewonnen, der illegale Export von Müll eingedämmt.

Hamburg. Das Bild ging um die Welt. Ein Junge, barfuß, mit einem Fußball-Trikot über seinem schlaksigen Oberkörper, hebt eine alte Bildschirmröhre hoch. Hinter dem Jungen steigen schwarze Rauchwolken auf, der Plastik auf der Müllhalde in der Nähe von Accra, der Hauptstadt von Ghana, brennt. Es ist Elektroschrott aus den Industrienationen. Etliche Container mit alten Fernsehgeräten, Kühlschränken, Waschmaschinen landen jeden Monat in dem afrikanischen Land. Auch aus Deutschland - und zu sehr großen Teilen verschifft aus dem Hamburger Hafen. Auf 100 000 Tonnen schätzen die Vereinten Nationen die illegale Ware, die jährlich aus der Bundesrepublik ausgeführt wird. Das Hamburger Forschungsinstitut Ökopol geht von 155 000 Tonnen exportierten Altgeräten aus. In einer Studie für das Bundesumweltamt heißt es jedoch auch, dass die genaue Menge des illegalen Elektroschrotts "nicht ermittelbar" sei.

Eine neue Richtlinie der Europäischen Union soll nun helfen, die illegalen Exporte nach Asien und Afrika zu unterbinden. In der EU soll Elektroschrott stärker wiederverwertet werden. Die Mitgliedstaaten müssen künftig höhere Quoten für das Sammeln und Recyceln erfüllen. Von 2016 an sollen 45 Prozent der verkauften Neugeräte wiederverwertet werden, ab 2019 rund 65 Prozent. Das EU-Parlament stimmte gestern in Straßburg für die Neufassung eines Gesetzes von 2003. Bis Sommer 2013 müssen die Staaten die Regeln in nationales Recht umsetzen.

Großhändler werden verpflichtet, elektrische Geräte zurückzunehmen. Angesichts steigender Rohstoffpreise will die EU mit der neuen Richtlinie vor allem mehr wertvolle Rohstoffe wie Gold und Kupfer etwa aus alten Handys und Kühlschränken zurückgewinnen. In einer Million Handys stecken laut EU-Angaben 250 Kilogramm Silber, 24 Kilogramm Gold und neun Tonnen Kupfer. Für die deutschen Verbraucher wird sich absehbar nur wenig ändern - denn hier gibt es bereits eine effiziente Wiederverwertungskette. Neu ist, dass Kunden Kleingeräte wie Rasierer, Handy oder Laptop auch im Elektrogeschäft mit mehr als 400 Quadratmetern Verkaufsfläche zurückgeben können - ohne ein neues Gerät kaufen zu müssen.

Wertvolle Rohstoffe gewinnen ist das eine, der Stopp der illegalen Exporte das andere Ziel. Und hier hat die EU-Regelung Auswirkungen auch auf Deutschland. Vor allem auf Hamburg.

2011 gab es rund 250 Verdachtsfälle auf illegale Ausfuhr - darunter auch einige mit Verdacht auf illegalen Export von Elektroabfällen. Das Bundesumweltministerium sieht Hamburg mit Rotterdam und Antwerpen als Schaltstelle für das Geschäft mit dem Müll. "Aufgrund seiner Größe hat der Hamburger Hafen für illegale Verbringungen eine besondere Bedeutung", teilte das Ministerium dem Abendblatt mit.

Mehrfach im Jahr finden Razzien statt - vor allem in der Billstraße in Rothenburgsort, wo Händler Sammelplätze für ausrangierte Kühlschränke oder Bildschirme betreiben. Dort kaufen Geschäftsleute etwa aus Ghana oder Bulgarien die Waren und verschiffen sie in ihre Heimat. Sie machen mit alten Geräten Geld, oder verbrennen den Schrott, um an Rohstoffe zu kommen. Die Vereinten Nationen beklagen, dass der Elektroschrott auf illegalen Deponien in Afrika landet. Oft sammeln Kinder Verwertbares aus dem Müll - mit fatalen Folgen für die Gesundheit durch giftige Dämpfe und Schadstoffe. Chemikalien sickern von den Halden in die Erde - und ins Grundwasser.

Hamburg als globale Drehscheibe für das schmutzige Geschäft mit dem Schrott? Die Umweltbehörde sieht die illegalen Exporte aus dem Hafen in Entwicklungsländer nicht als "gravierendes Problem". Und doch: 2007 wurde die Zahl der Kontrolleure verdoppelt - von zwei auf vier. Einer der Gründe: die Zunahme von Verdachtsfällen auf illegalen Export von Elektroschrott.

Und so begrüßt die Umweltbehörde das geplante neue Gesetz. Bisher gebe es eine rechtliche Grauzone, was Elektroschrott ist und was noch als gebrauchsfähiges Elektrogerät angesehen werden könne, sagte Volker Dumann, Sprecher der Behörde, dem Abendblatt. Denn Schrott darf nicht exportiert werden, alte, aber funktionierende Ware schon. "Die Richtlinie der EU schafft hier endlich klare Unterscheidungskriterien, die auch vor Gericht wirksam sind." Geht es nach der EU, müssen Händler künftig nachweisen, dass die Geräte noch funktionieren. Das helfe den Kontrolleuren bei Durchsuchungen im Hafen, so Dumann. Insgesamt kümmern sich um die Kontrollen etwa ein Dutzend Fachleute in Hamburger Behörden.

Doch eine entscheidende Rolle im Boom mit den Abfällen spielen auch die Verbraucher. Nach Schätzungen werden weltweit jährlich 40 Millionen Tonnen Altgeräte verschrottet. Jeder Europäer produziert 20 Kilogramm Schrott pro Jahr. Umweltschützer wie Claudia Sprinz von Greenpeace sprechen von der "Übertechnisierung der Gesellschaft". Für viele Menschen seien Handys ein Statussymbol, ständig benötigten sie das neueste Modell. Oftmals kaufen Verbraucher Fernsehgeräte mit diversen Funktionen. "Viele von denen kennen oder verstehen die Käufer dann gar nicht", sagte Sprinz dem Abendblatt. Kein Müllberg dieser Welt wachse so schnell wie der aus Elektroschrott. Was mit dem Kauf eines Handys beginnt, kann mit vergiftetem Grundwasser unter den Mülldeponien von Ghana enden. Das Problem seien nicht nur die Händler, sagt Sprinz. Es seien auch die Hersteller und Kunden.