Jahrelang gab es keine Bewegung bei der atomaren Abrüstung. Jetzt haben sich Russland und die USA auf ein neues Abkommen geeinigt.

Washington. Ein Telefonat zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml besiegelte den Durchbruch. Jahrelang hatte es bei der atomaren Abrüstung keine Bewegung gegeben, ehe US-Präsident Barack Obama und sein russischer Kollege Dmitri Medwedew am Freitag in einem Telefongespräch eine neue Runde einleiteten. Tausende Atomwaffen sollen verschrottet werden, die beiden Länder wollen ihre Atomarsenale um jeweils fast ein Drittel verkleinern. Das neue Abrüstungsabkommen ist ein Triumph der Diplomatie, ein persönlicher Erfolg für Obama – und ein warnendes Signal an andere Länder mit atomaren Ambitionen.

Insgesamt 14 Mal hatten Obama und Medwedew in den vergangenen Monaten nach einer Zählung des Weißen Hauses persönlich über das neue Abkommen beraten. Das Nachfolgeabkommen für den START-Vertrag von 1991 sieht vor, dass die USA und Russland die Zahl ihrer atomaren Sprengköpfe auf jeweils 1550 begrenzen. Das entspricht einer Kürzung von knapp 30 Prozent. Auch die Zahl der Trägersysteme - Raketen, Langstreckenbomber, Abschussrampen, U-Boote – soll reduziert werden.

Für den krisengeplagten US-Präsidenten kam der Durchbruch zum Abschluss einer Woche, die als die bislang erfolgreichste seiner Amtszeit gelten kann. Erst in der Nacht zu Freitag hatte der US-Kongress endgültig Obamas innenpolitisches Kernvorhaben, die Gesundheitsreform, abgesegnet. Das neue Abkommen mit Russland ist sein bislang größter außenpolitischer Erfolg. Mit Sinn für politische Symbolik will Friedensnobelpreisträger Obama das Abkommen mit Medwedew am 8. April in Prag unterzeichnen – jener Stadt also, in der er vor einem Jahr seine Vision einer atomwaffenfreien Welt verkündete.

„Heute haben wir den Worten Taten folgen lassen“, resümierte Obama am Freitag. „Mit diesem Abkommen senden die USA und Russland – die beiden größten Atommächte der Welt – ein klares Signal, dass wir unsere Führungsrolle wahrnehmen“, sagte Obama. „Wir stärken unsere globalen Anstrengungen, um die Verbreitung dieser Waffen zu stoppen und sicherzustellen, dass auch andere Länder ihrer Verantwortung gerecht werden.“

Unabhängige Rüstungsexperten in Washington werteten das neue Abkommen übereinstimmend als Erfolg für den US-Präsidenten. Der Fachmann Max Bergmann vom Center for American Progress bezeichnet die Vereinbarung als „historische Leistung, welche die Sicherheit der USA und ihrer Verbündeten stärken wird“. Das Abkommen sei ein „greifbarer Erfolg“ für Obamas Außenpolitik.

Hinter Obamas Bemühungen steht eine strategische Neuorientierung. Die Doktrin der gegenseitigen atomaren Abschreckung stammt noch aus der Zeit des Kalten Kriegs. Heute freilich geht es nicht mehr um ideologische Systemkonfrontation. US-Außenministerin Hillary Clinton benannte am Freitag die „beiden größten Bedrohungen unserer Zeit„: zum einen den Terrorismus, zum anderen die Gefahr atomarer Aufrüstung durch instabile oder aggressive Länder wie etwa Iran oder Nordkorea. Dafür „brauchen wir nicht so große Arsenale“, sagte sie.

Den größten Wert des neuen Abkommens sehen Experten denn auch nicht allein in der Annäherung zwischen Moskau und Washington, sondern in der weltweiten Signalwirkung. Der Atomwaffen-Experte Jeffrey Lewis von der New America Foundation in Washington sagt: „Das Abkommen zeigt, dass Rüstungskontrolle immer noch möglich ist.“ Das START-Nachfolgeabkommen sei das komplexteste Verhandlungswerk der US-Diplomatie seit einem Jahrzehnt.

Der Rüstungsanalyst Miles Pomper vom James Martin Center erhofft sich eine neue Dynamik für den Washingtoner Gipfel zur Atomsicherheit im April und die Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag im Mai. Für Iran und Nordkorea könnte es noch schwerer werden, sich einer internationalen Kontrolle zu entziehen. Das START-Abkommen schaffe „positive Dynamik, es kann wirklich helfen“, sagt Pomper. In der Innenpolitik muss Obama freilich noch eine Hürde nehmen: Der US-Senat muss dem Abkommen mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen. Die oppositionellen Republikaner könnten die Umsetzung verhindern.