Die Kritik an FDP-Chef Guido Westerwelle reißt nicht ab. Die SPD schießt sich auf ihn ein - auch der Koalitionspartner CSU verschärft den Ton.

Berlin. Die SPD hat FDP-Chef Guido Westerwelle gegen sich aufgebracht, die Grünen, die Linken und die Sozialverbände. Auch beim Koalitionspartner CSU stoßen seine provokanten Thesen in der Debatte im Hartz IV auf zunehmend heftige Kritik. Die Wortwahl von Westerwelle „zeigt seine Hilflosigkeit“, sagte die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer der „Leipziger Volkszeitung“. „Wer keine konstruktiven Ideen hat, macht eben Getöse. Ich habe von der FDP bisher nichts zu dem Thema gehört, was uns weiterbringt“, sagte Haderthauer.

Auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel wetterte weiter gegen Westerwelle und nennt ihn einen „sozialpolitischen Brandstifter“. Mit seinem frontalen Angriff auf Hartz-IV-Bezieher gefährde der FDP-Chef den sozialen Frieden in Deutschland, sagte Gabriel der „Frankfurter Rundschau“. Damit wolle Westerwelle nur von den eigentlichen Sozialbetrügern ablenken: „Das sind jene, die die Finanzskandale bei den großen Banken und auf dem Investmentsektor verursacht haben. Und jene, die ihr Geld illegal in die Schweiz schaffen.“ Das seien die wirklichen Sozialbetrüger und die Klientel von Westerwelle, fügte Gabriel hinzu.

Ausgelöst hatte Westerwelle die Welle der Empörung, als er behauptete die Debatte um Hartz IV, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausgebrochen war, habe „sozialistische Züge“. In einem Gastbeitrag für die "Welt" beklagte er, es scheine in Deutschland "nur noch Bezieher von Steuergeld" zu geben, aber "niemanden, der das alles erarbeitet". Wer "anstrengungslosen Wohlstand" verspreche, lade zu "spätrömischer Dekadenz ein". Schließlich forderte Westerwelle zu dem Thema eine Generaldebatte im Bundestag. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich zuvor von ihrem Vizekanzler distanziert hatte, hat nach Angaben eines Sprechers keine Einwände gegen eine Generaldebatte, sieht aber auch keinen Zeitdruck.

Im Streit um dessen Äußerungen verteidigte CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich Westerwelle. Der Grundtenor seiner Aussagen, dass „die, die arbeiten mehr haben müssen als die, die nichts arbeiten“, sei berechtigt, sagte Friedrich im RBB. „Aber ich glaube, dass die Interpretation dieses Artikels dann hinterher zum Teil hysterische Züge angenommen hat.“ Zugleich kritisierte er die Wortwahl des FDP-Vorsitzenden: „Es gibt so ein paar Ausdrücke, wie der mit der spätrömischen Dekadenz ..., das hätte man sich auch sparen können.“

Die Bundesagentur für Arbeit hat unterdessen eine Liste für Hartz-IV-Zusatzleistungen etwa für chronisch Kranke, Rollstuhlfahrer oder geschiedene Paare mit Kindern erstellt. Eine Sprecherin der Behörde in Nürnberg bestätigte der Nachrichtenagentur DAPD einen entsprechenden Bericht der „Ruhr-Nachrichten“. Die Liste liege dem Bundesarbeitsministerium zur Genehmigung vor. Die Bundesagentur rechnet damit, dass sie in rund einer Woche eine entsprechende Geschäftsanweisung für die Auszahlung der Zusatzleistungen herausgibt. Damit würden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar umgesetzt. Demnach muss der Gesetzgeber Zusatzleistungen für einen über den Hartz-IV-Regelsatz hinausgehenden „unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf“ gewähren.

Nach Informationen der Zeitung beschränkt die Bundesagentur die Zahlungen auf bestimmte Fälle. Für chronisch Kranke würden auch Arzneimittel bezahlt, die nicht verschreibungsfähig seien, Rollstuhlfahrer könnten Kosten für Haushaltshilfen geltend machen. Der Nachhilfeunterricht für Kinder würde bezahlt, wenn die Versetzung gefährdet ist. Übernommen würden auch Fahrtkosten bei getrennt lebenden Paaren, damit Eltern ihre Kinder sehen.