Wenn der Einsatz im Ausland endet, beginnt der Weg zurück ins “normale“ Leben. Doch immer mehr Bundeswehrsoldaten können ihre Erlebnisse nicht verarbeiten. Im Hambuger Bundeswehrkrankenhaus werden sie betreut - oft jahrelang.

Hamburg - Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit ist das Bundeswehrkrankenhaus Hamburg zu einem düsteren Nebenkriegsschauplatz der Auseinandersetzungen in Afghanistan, Bosnien und Kosovo geworden: In der Abteilung VI für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie wurde und wird ein Großteil jener (offiziell) rund 1550 deutschen Soldaten behandelt, die als Folge ihrer Erlebnisse und Erfahrungen an schweren psychischen Störungen, vor allem an der selbstzerstörerischen Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden.

PTBS, eine oft um Jahre verzögerte Reaktion auf Ereignisse, die intensiv Angst, Entsetzen, Hilflosigkeit und Schuldgefühle ausgelöst haben, wird vor allem deshalb in der Militärklinik an der Lesserstraße bekämpft, weil sie unter den acht Bundeswehrkrankenhäusern über den einzigen "Schwerpunkt Psychotraumatologie" und die meiste Einsatzerfahrung verfügt. Angesichts der in Afghanistan als Folge von Selbstmordattentaten, Minengefahren sowie Raketen- und Mörserfeuer massiv steigenden seelischen Belastungen der Soldaten und damit auch der künftigen Krankheitsfälle, werden die in Hamburg arbeitenden Bundeswehr-Psychologen und -Psychiater (es sind weniger als ein Dutzend) schnell verstärkt werden müssen.

Fachleute weisen darauf hin, dass die Zahl der PTBS-Opfer sich von 48 im Jahr 2003 (davon 30 in Afghanistan) auf 140 anno 2005 (davon 86 in Afghanistan und 54 auf dem Balkan) verdreifacht hat. Die "Dunkelziffer" sei allerdings "mehr als besorgniserregend".

Schlaflosigkeit, Wutanfälle bis hin zum "Berserker-Syndrom"

Die Krankheit PTBS zerstört Menschen und Existenzen. Sie äußert sich in Schlaflosigkeit, Wutanfällen bis hin zum "Berserker-Syndrom" und tiefen Depressionen und führt häufig zu Ehekrisen, Scheidungen, beruflichen Katastrophen und bis zum sozialen Absturz.

"Patienten berichten, dass sie ihre Kinder bei Hausaufgabenhilfe geschlagen haben, was sie früher nie getan hätten", sagte Oberstarzt Dr. Karl-Heinz Biesold, Leitender Arzt der Abteilung VI, der auf dem Balkan und in Afghanistan im Einsatz war. "In akuten Fällen sind die Männer nicht aggressiv, sondern gefühlsmäßig taub. Sie spüren keine Gefühlsregung, weder Freude noch Trauer."

PTBS (engl. PTSD von Post Traumatic Stress Disorder) war erst 1980 auf Druck von kranken Vietnam-Veteranen in das Handbuch der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung aufgenommen worden. 500 000 von drei Millionen eingesetzten US-Soldaten leiden an den Folgen des mörderischen Dschungelkrieges. Die Israelis entdeckten während des Yom-Kippur-Krieges 1973 mehr als 3000 Soldaten mit "Schlachtfeld-Schocks".

In Hamburg hat es Dr. Biesold mit Opfern wie David Hallbauer zu tun, der am 13. Juni 1999 in Prizren die ersten tödlichen Schüsse eines Bundeswehrsoldaten abgefeuert hatte, als zwei Serben in einem gelben Lada feuernd auf ihn zurasten. Der 22-Jährige hatte, wie befohlen, erst Einzel-, dann Dauerfeuer abgegeben. Am Ende waren die von 27 Kugeln getroffenen Serben tot. Hallbauer hatte die Bedrohung der zivilen Marktplatzbesucher abgewendet, den ersten Schusswechsel seines Lebens aber konnte er nicht verkraften. Er ist seit drei Jahren in der Hamburger Militärpsychiatrie in Behandlung, seine Bewerbung als Berufssoldat wurde abgelehnt, sein Leben ist ruiniert.

Die Bundeswehr schickt heute möglichst alle Rückkehrer von Auslandseinsätzen in Re-Integrationsseminare, wo sie auf das Leben in Zivil vorbereitet werden. "Reden, alles von der Seele reden, nichts verdrängen!", so die Parole.

Therapien beginnen mit einer Stabilisierungsphase, in der sich die Kranken vom Erlebten zu distanzieren versuchen. In der zweiten Phase geht es um die Bewältigung tief sitzender Ängste, in der dritten um den Weg zurück ins Leben, auf dem sich manche Soldaten aber alleingelassen fühlen. "Man hat mich wie eine heiße Kartoffel fallen lassen!", klagt einer von ihnen. Gebraucht werden jetzt mehr Psychologen für die Früherkennung am Einsatzort, damit man die Nachsorge nicht als Rückzugsgefechte betreiben muss. Wenn nicht, wird die Bundeswehr den "Krieg der Seelen" verlieren.