DAUERSTRESS Zwölf- Stunden-Tage, Bereitschaftsdienste, Bürokratie und dazu geringe Bezahlung. Deutsche Mediziner haben viele Gründe, lieber im Ausland zu arbeiten.

Hamburg

"Mittagspause? Das kann ich mir nicht leisten", sagt der Assistenzarzt Götz Thomalla. Wenn der Neurologe morgens um 8 Uhr seinen Dienst im Universitätskrankenhauses Eppendorf (UKE) beginnt, liegen meistens elf Stunden Arbeit vor ihm - ohne Pause. Er behandelt Patienten mit Schlaganfall oder auch Parkinson. Offiziell könnte er um 16.30 Uhr seinen Dienst beenden, aber "wenn es einem Patienten schlecht geht, kann ich doch nicht einfach abhauen", sagt der Familienvater.

Außerdem wartet noch mindestens eine Stunde Arbeit mit der Dokumenation der Fälle auf den 32jährigen. Vor 19 Uhr ist er selten zu Hause. Wie die meisten der Kollegen, schreibt Thomalla nur wenige Überstunden auf. "Es wird von uns erwartet, daß wir soviel arbeiten und das nicht alles dokumentieren." Denn an vielen Kliniken werden Überstunden nur zu einem geringen Teil bezahlt. Die Ärzte sollen sich dafür einen Freizeitausgleich nehmen - der geht jedoch dann zu Lasten der anderen Kollegen.

Wegen Sparmaßnahmen wurde ein Drittel der Assistentenschaft in der Neurologie eingespart, gleichzeitig wurden die Liegezeiten der Patienten verkürzt und die Fallzahlen erhöht. "Wir haben weniger Leute, auf die sich viel mehr Arbeit verteilt", kritisiert der Assistentensprecher. Die übrigen 13 Assistenzärzte müssen neben der Stationsarbeit noch Studentenunterricht geben und wissenschaftlich arbeiten. "Letzteres natürlich nur in unserer Freizeit."

Drei Bereitschaftsdienste hat Thomalla im Monat (in der Nacht und am Wochenende) - einer dauert nach der Arbeitszeit von 16.30 Uhr bis morgens um 8.30 Uhr. Dabei schläft Thomalla höchstens drei Stunden, und die auch selten am Stück. Er bekommt jedoch nur 80 Prozent seines normalen Stundenlohns von 20,28 Euro ausbezahlt und nur für acht Stunden. Denn da Thomalla dann nach Hause geht, werden ihm von den 16 Dienststunden acht als Freizeitausgleich abgezogen - übrig bleiben etwa 130 Euro für die fast durchgearbeitete Nacht. "Das ist absolut ungerecht", so der Neurologe, der trotz der Arbeitsbelastung von mehr als 50 Stunden pro Woche nur rund 3000 Euro netto mit nach Hause nimmt.

Für den HNO-Arzt Christoph Sagowski war die Unberechenbarkeit seiner Arbeitszeit einer der Hauptpunkte, sich nach neun Jahren am UKE nach Holland zu bewerben. "Meine Frau arbeitete abends und mußte ihren Job aufgeben, weil ich unseren Sohn nicht zuverlässig betreuen konnte", sagt der Facharzt, der seit zwei Monaten an einem kleinen Krankenhaus in der Provinz Groningen arbeitet.

Eigentlich hatte der habilitierte Mediziner auf eine Uni-Karriere hingearbeitet, "doch die schlechte Bezahlung, die vielen Überstunden, die Masse an Dokumentationsarbeit" haben den 37jährigen zunehmend frustriert. Derzeit hat er als Angestellter in Holland eine feste Arbeitszeit von 45 Stunden pro Woche und verdient mit rund 130 000 Euro jährlich das Doppelte seines Gehaltes, das er als HNO-Funktionsoberarzt im UKE bekam.

Ab Januar 2006 wird er selbständig am Krankenhaus arbeiten, dann liegen seine Einnahmen noch mal bis zu 70 000 Euro höher. Dabei kann er sämtliche Instrumente und das Personal der Klinik umsonst mitbenutzen. Als gesuchte ausländische Arbeitskraft muß er zudem 30 Prozent seines Einkommens über 10 Jahre nicht versteuern. "Die Bedingungen hier sind traumhaft. Aber am schönsten ist, daß die Leute hier alles tun, damit ich gut arbeiten kann", sagt Sagowski glücklich und fügt hinzu: "In Deutschland hat man einfach vergessen, wer die Leistungsträger im Gesundheitssektor sind: Krankenschwestern und Ärzte."