MASSENMÖRDER Abu Mussab al-Sarkawi - US-Truppen im Irak jagen einen der “gefährlichsten Männer weltweit“.

Hamburg

Auf die Gruppe von Frauen am Straßenrand achtet der bärtige Mann auf dem Motorrad nicht. Die Maschine schlängelt sich geschickt durch den Verkehr von Mardan, einer Grenzstadt im nordwestlichen Pakistan nahe Afghanistan. Als der Bärtige absteigt, weiten sich seine Augen im Schock. Denn die Frauen werfen plötzlich ihre schwarzen Burkas ab, die sie von Kopf bis Fuß verhüllt hatten.

Zum Vorschein kommen kantige Männergesichter - und Maschinenwaffen. Schüsse bellen. Verzweifelt schreit der Bärtige: "Ich bin ein heiliger Krieger, helft mir!" Doch niemand rührt eine Hand. Der Mann rennt in ein Haus und schließt sich ein. Doch als Gasgranaten durchs Fenster fliegen, ist sein Schicksal besiegelt. Seine Häscher, wohl eine Spezialeinheit des gefürchteten pakistanischen Geheimdienstes ISI, trauen ihren Augen nicht, als sie erkennen, wen sie da auf einen anonymen Hinweis hin gefangen haben: Abu Faradsch al-Liby, genannt "der Libyer", Nummer drei des weltweiten Terror-Netzwerkes Al Kaida.

Von al-Liby erhofft sich die amerikanische Regierung nun neue Informationen, die ihr bei der Jagd nach einem mörderischen Phantom helfen kann: Dem Stellvertreter von Al-Kaida-Chef Osama bin Laden, Abu Mussab al-Sarkawi. Bewußt haben die Amerikaner darauf verzichtet, eine Auslieferung al-Libys zu beantragen: Sie vertrauen auf die ultrabrutalen Verhörmethoden der pakistanischen Behörden.

Der Ring um Sarkawi, der einen großen Teil der Terroraktionen im Irak lenkt - erst gestern starben wieder rund 70 Menschen bei Anschlägen - zieht sich immer enger zusammen. Mehrere hundert seiner Gefolgsleute sind bereits tot oder gefangen.

Am 20. Februar entging der Topterrorist, auf den Washington 25 Millionen Dollar Kopfgeld ausgesetzt hat und den der BND-Terrorexperte Hans-Josef Beth "einen der gefährlichsten Männer weltweit" nennt, den US-Eliteeinheiten nur knapp. An einer Sperre der Amerikaner sprang Sarkawi unbemerkt von der Ladepritsche eines Lkw und kroch unter eine Straßenbrücke.

Doch die Einschläge kommen immer dichter: Am 19. Februar 2004 wurde Mohammed Hamsa, sein Hauptbombenbauer, getötet, am 17. September sein Stellvertreter Abu Anas al-Schami. Am 26. September starb Abu Ahmed Tabuki, die rechte Hand Sarkawis, im November sein neuer Stellvertreter. Und zwischen Dezember 2004 und März 2005 wurde eine ganze Reihe von engen Sarkawi-Vertrauten festgenommen, darunter sein Finanz- und Logistik-Chef Anat Mohammed Hamat el-Quais und sein Leibwächter Abu Kutaiba.

Doch Sarkawi entkommt stets und tötet weiter. Zu seinen zahllosen Greueltaten zählen die eigenhändigen Enthauptungen der US-Geiseln Nicholas Berg, Eugene Armstrong und Jack Hensley sowie des Briten Kenneth Bigley. Neben Sprengstoffanschlägen mit Hunderten Toten brüstet sich Sarkawi auch der Ermordung von 49 irakischen Rekruten am 24. Oktober 2004 und von 22 irakischen Polizisten am 7. November.

Iraks neuer Präsident, der Kurde Dschalal Talabani, sagte jetzt, Sarkawi sei auf Grund seiner Bestialität im Irak isoliert. Er werde von den Irakern gehaßt und wohl bald gefangen werden. Geld erhalte er von Al Kaida, radikalen Moslem-Organisationen und "aus dem Ausland, von Staaten, die ich nicht näher benennen will". Hintergrund: die radikalislamische Glaubensrichtung des Wahhabismus, der Al Kaida anhängt, ist Staatsreligion in Saudi-Arabien.

Sarkawis bürgerlicher Name lautet Ahmed Nazzal al-Khalailah. Er wurde am 30. Oktober 1966 im jordanischen Sarka - daher sein Kampfname - als Sohn palästinensischer Flüchtlinge geboren und gehört dem Beduinen-Stamm der Beni Hassan an. Sarkawi wuchs in Armut mit sieben Schwestern und zwei Brüdern auf, sein Vater war Trinker, seine Mutter litt an Leukämie.

Mit 17 Jahren verließ Sarkawi die Schule, trank ebenfalls stark und landete wegen sexueller Belästigung im Gefängnis. Die Beschäftigung mit dem radikalen Islam, an den ihn eine seiner Schwestern heranführte, änderte sein Leben völlig. Er ging nach Afghanistan und kämpfte - ebenso wie Osama bin Laden - gegen die sowjetischen Invasoren.

Später gründete er das Terrornetzwerk Al-Tawhid (göttliche Einheit), das auch in Deutschland Anschläge plante. Wozu Sarkawi fähig ist, zeigt sein bislang mörderischster Plan, der 2004 von jordanischen Sicherheitskräften vereitelt wurde. Er wollte 20 Tonnen Sprengstoff und große Mengen tödlicher Chemikalien in Amman nahe der Zentrale des jordanischen Geheimdienstes und der US-Botschaft zünden. Nach Schätzungen wären 80 000 Menschen ums Leben gekommen.

Einer der Gründe, warum der Topterrorist noch immer nicht gefaßt wurde, findet sich in Berichten westlicher Geheimdienste. Danach vermag Sarkawi sein Aussehen mit Hilfe von Maskenbildner-Tricks aus Europas Filmindustrie total zu verändern.

Wie er üblicherweise herumläuft, enthüllte ein gefangener kurdischer Gefolgsmann namens Fathalla F. den US-Verhörspezialisten. Danach trägt Sarkawi kurzes Haar und Bart, zwei Armbanduhren aus Stahl, eine weiße Dischdascha mit grüner Weste darüber. In einem Schulterholster steckt eine Pistole der österreichischen Marke Glock, ferner soll Sarkawi eine auffallend kleine MP benutzen. Es gibt viele Gründe, warum die Amerikaner Abu Mussab al-Sarkawi rasch ausschalten wollen. Einer davon: Er ist auch Experte für Giftgas.

Einige seiner Opfer enthauptete er eigenhändig.