Nach dem jüngsten Selbstmordanschlag im Süden des Landes mit Dutzenden Toten überraschte der Pentagon-Chef mit der Einschätzung, dass die Gewaltakte am Hindukusch insgesamt rückläufig seien. Und noch etwas machte Panetta deutlich: Die USA verlieren zunehmend die Geduld mit Pakistan. Die umstrittenen US-Drohnenangriffe dort gegen extremistische Ziele werden auch ohne Einverständnis von Islamabad fortgesetzt.

Kabul. Bei einem Blitzbesuch in Afghanistan hat US-Verteidigungsminister Leon Panetta offensichtlich eines unmissverständlich klar machen wollen: Dass Washington am geplanten Truppenabzug festhält, komme was da wolle.

Nach dem jüngsten Selbstmordanschlag im Süden des Landes mit Dutzenden Toten überraschte der Pentagon-Chef mit der Einschätzung, dass die Gewaltakte am Hindukusch insgesamt rückläufig seien. Und noch etwas machte Panetta deutlich: Die USA verlieren zunehmend die Geduld mit Pakistan. Die umstrittenen US-Drohnenangriffe dort gegen extremistische Ziele werden auch ohne Einverständnis von Islamabad fortgesetzt. Überschattet wurde Panettas Stippvisite von heftiger Kritik an der NATO, die nach Angaben afghanischer Behörden bei einem Luftangriff im Osten des Landes 18 Zivilisten getötet hat.

Panetta, der am Donnerstag zu einem vierten Kurzbesuch in Afghanistan eintraf, räumte zwar ein, dass die Anschläge zugenommen hätten und die Aufständischen viel besser organisiert zu sein schienen. Gleichzeitig betonte er jedoch, dass die Gewalttaten insgesamt abgenommen hätten. Er wolle hören, wie der Kommandeur der NATO-geführten Isaf-Truppe in Afghanistan, John Allen, die Lage einschätze, sagte Panetta, und ob dieser das Militärbündnis für ausreichend gewappnet halte, um gegen die Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen. Es sei wichtig, auf zu erwartende Anschläge der Extremisten in den kommenden Monaten vorbereitet zu sein, erklärte er am Mittwoch bei einem Zwischenstopp in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. Das der Al-Kaida und den Taliban nahestehende Haqqani-Netzwerk hat sich zu etlichen Anschlägen bekannt, darunter auf die US-Botschaft und das NATO-Hauptquartier in Kabul im vergangenen Jahr. Das von Pakistan aus operierende Terrornetzwerk gilt als vielleicht größte Bedrohung für die Stabilität im Nachbarland Afghanistan.

Geduld mit Pakistan „erreicht Grenzen“

Im Gegenzug für milliardenschwere Hilfen wollen die USA Unterstützung von Pakistan im Kampf gegen das Haqqani-Netzwerk. Wie ungeduldig Washington mit Islamabad ist, war den Worten Panettas schon bei seinem Besuch in Indien unzweideutig zu entnehmen. Es sei Islamabad unmissverständlich klar gemacht worden, dass die USA auch künftig mit Drohnen Al-Kaida-Ziele angreifen würden, sagte Panetta am Mittwoch in Neu-Delhi. Ähnliches wiederholte er am Donnerstag vor Truppen am Flughafen in Kabul und bei einer Pressekonferenz mit seinem afghanischen Kollegen Abdul Rahim Wardak.

„Wir erreichen die Grenzen unserer Geduld hier, und daher ist es äußerst wichtig, dass Pakistan etwas dagegen unternimmt, dass diese Art von sicherer Hafen existiert und Terroristen erlaubt wird, das Land als Sicherheitsnetz zu nutzen, um ihre Angriffe gegen unsere Truppen durchzuführen“, sagte Panetta. Nach dem Tod von Al-Kaida-Vize Abu Jahia al Libi bei einem US-Drohnenangriff am Montag protestierte Pakistan erneut gegen die Verletzung seiner Hoheitsrechte.

Der Tod al Libis war in den USA mit besonderer Genugtuung aufgenommen worden, weil er drei Jahre nach seiner Verhaftung 2002 in Pakistan aus dem amerikanischen Militärgefängnis Bagram in Afghanistan hatte fliehen können. „Der schlimmste Job, den man dieser Tage haben kann, ist ein Al-Kaida-Vize oder -Chef zu sein“, scherzte Panetta am Donnerstag in Kabul. Gut ein Jahr nach dem Tod von Al-Kaida-Chef Osama bin Laden durch eine US-Spezialeinheit dürfte US-Präsident Barack Obama der erneute Schlag gegen die Extremisten auch im Wahlkampf zugutekommen, um sich als Terroristenjäger zu profilieren.

Angeblicher NATO-Angriff auf Zivilisten in Afghanistan sorgt für Wirbel

Unterdessen sorgte ein angeblicher Luftangriff der NATO auf Zivilisten in Afghanistan für Empörung. Nach Angaben örtlicher Behördenvertreter wurden bei einem Militäreinsatz im Osten des Landes 18 Gäste einer Hochzeitsfeier getötet. Der am Mittwoch erfolgte Angriff auf ein Haus in der Provinz Logar sei inakzeptabel, kritisierte der afghanische Präsident Hamid Karsai in einer am Donnerstag in Kabul veröffentlichten Erklärung. Die NATO hat bisher nur einen Hubschraubereinsatz gegen Mitglieder der radikalislamischen Taliban und den Tod von Kämpfern bestätigt sowie ein Ermittlerteam nach Logar entsandt.

Ebenfalls am Mittwoch kamen bei einem dreifachen Selbstmordanschlag in der Stadt Kandahar nach Angaben der Polizei mindestens 22 Menschen ums Leben. Dennoch wollen die USA bis Ende September 23.000 amerikanische Soldaten aus Afghanistan abziehen. Damit bleiben noch rund 68.000 US-Militärangehörige im Land.

Shanghai-Gruppe gewährt Afghanistan Beobachterstatus

Bei einem jährlichen Gipfeltreffen der Shanghai-Kooperationsorganisation (SCO) wurde Afghanistan von China, Russland und vier weiteren mittelasiatischen Staaten am Donnerstag als Beobachter aufgenommen. Die Shanghai-Gruppe gilt als Versuch Chinas und Russlands, dem Einfluss der USA entgegenzutreten. Karsai nahm an dem Gipfel teil. Der SCO gehören neben China und Russland Usbekistan, Kirgistan, Kasachstan und Tadschikistan an. Beobachterstatus haben neben Afghanistan bereits Indien, Iran, die Mongolei und Pakistan. Die Türkei wurde als Dialogpartner aufgenommen.

(dapd)