Rebellen machen Boden gut, die EU eröffnet Büro in Bengasi. Berichte über Mord an Flüchtlingen und eine drängende Frage: Wo ist Gaddafi?

Tripolis/Brüssel. Auf der einen Seite Kämpfe, Bomben und Flüchtlingsdramen. Auf der anderen Seite Libyer, die auf Geheiß von Machthaber Muammar al-Gaddafi Normalität in der Hauptstadt Tripolis demonstrieren sollen. Auf den Bildern der Fotografen sind Kinder zu sehen, die sich im Meer vergnügen. Westliche Berichterstatter werden auf Gaddafis Geheiß auf geführte Touren gebracht, die die angeblichen Bomben-Folgen der Nato-Angriffe zeigen. So entsteht derzeit ein diffuses Bild von der Lage in Libyen, während eine Frage sich weiter aufdrängt: Wo ist Gaddafi?

Die libyschen Rebellen haben in der umkämpften Stadt Misrata Truppen von Gaddafi auf dem Flughafen der Stadt eingekesselt. Die Rebellen übernahmen nach heftigen Kämpfen in der Nacht zum Mittwoch die Kontrolle im nördlichen, östlichen und westlichen Sektor des Flughafens. Die Nato hat erneut militärische Ziele in Tripolis bombardiert. Bewohner hörten laute Explosionen, mindestens vier Objekte seien getroffen worden. Darunter seien ein Gebäude des Militärgeheimdienstes und ein Haus, das von Abgeordneten des Schein-Parlaments genutzt wird, berichteten libysche Exil-Medien.

Die EU will jetzt ein Büro in der libyschen Aufständischen-Stadt Bengasi eröffnen. Damit wolle die EU den nationalen Übergangsrat der Rebellen unterstützen, kündigte die Außenbeauftragte Catherine Ashton vor dem Europaparlament in Straßburg an. Das Büro solle auch Hilfe für die Zivilgesellschaft und Gesundheitsdienste koordinieren. Ashton betonte erneut, dass der libysche Machthaber Gaddafi abtreten müsse. „Gaddafi muss gehen und sein Regime muss beendet werden“, sagte sie unter dem Beifall der Volksvertreter. Besonders wichtig sei es, den jungen Menschen in Libyen Zukunftsperspektiven zu bieten, für Ausbildung und Studium. „Dabei können die EU-Länder helfen“, sagte sie.

Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon hat zu einem „sofortigen und überprüfbaren Waffenstillstand“ in Libyen aufgerufen. Für Hilfsorganisationen forderte er ungehinderten Zugang in die Kampfgebiete. Ban sagte, er habe am Dienstagabend mit dem libyschen Ministerpräsidenten Al-Bagdadi Ali al-Mahmudi telefoniert. Der habe zugesagt, einen Uno-Sondergesandten in Tripolis zu empfangen, der „Verhandlungen für eine friedliche Lösung des Konflikts und ungehinderten Zugang für Mitarbeiter humanitärer Organisationen“ führen solle. Die Aufstände in Nordafrika und der arabischen Welt seien eine seltene, aber auch fragile Chance, Demokratie und Menschenrechte zu fördern, sagte Ban weiter. Der Uno-Generalsekretär rief die vor der libyschen Küste patrouillierenden Schiffe europäischer Staaten auf, Flüchtlingstragödien auf See zu verhindern. Er verwies auf den Untergang eines überfüllten Schiffs in Sichtweite von Tripolis, bei dem möglicherweise 600 Menschen umgekommen sind. „Ich bin beunruhigt über Berichte dass Menschen, die vor den Kämpfen fliehen, ihr Leben auf See verlieren“, sagte Ban.

Fünf Bootsflüchtlinge sollen auf dem Weg von Libyen zur Insel Lampedusa über Bord geworfen und damit „geopfert“ worden sein. Dieser Behauptung eines 16-jährigen Migranten aus Ghana geht jetzt die sizilianische Staatsanwaltschaft nach, berichteten italienische Medien. Ermittelt werde wegen mehrfachen Mordes. Der junge Mann hatte sich zunächst gegenüber Mitarbeitern der Hilfsorganisation „Save the children“ geäußert, den Vorfall vom 1. Mai später dann aber auch der Polizei in Agrigent berichtet.

Bei den Tätern soll es sich – nach Aussage des Minderjährigen – um sechs Nigerianer handeln, die diese „Opfergabe“ vollzogen hätten, als die Wellen auf dem offenen Meer immer höher wurden. Um „den Zorn der Geister zu besänftigen und das Meer zu beruhigen“, sollen sie von Bord geworfen worden sein. Zudem seien Frauen auf dem Schiff vergewaltigt worden. An Bord waren über 460 Menschen. Gerüchte von menschlichen Opfergaben auf dem offenen Meer kursieren immer wieder, doch erst einmal wurde ein Tätern der Prozess gemacht: Im vergangenen Jahr hat ein Gericht in Syrakus vier Nigerianer zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Sie hatten 13 Menschen ins Meer geworfen und ertrinken lassen. (dpa/dapd/rtr)