Atomausstieg und mehr Steuern für Kinderbetreuung. Kretschmanns Wahl zum Ministerpräsidenten wird spannend.

Stuttgart. Die grün-rote Koalition in Baden-Württemberg steht. Die Verhandlungsführer Winfried Kretschmann (Grüne) und Nils Schmid (SPD) unterzeichneten am Montag in Stuttgart den Koalitionsvertrag. Anschließend setzten SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel und die Grünen-Landesvorsitzenden Silke Krebs und Chris Kühn ihre Namen unter die Vereinbarung. Sowohl Grüne als auch SPD hatten am Wochenende auf getrennten Parteitagen einstimmig für die gut 80 Seiten starke Vereinbarung votiert. Am Donnerstag soll Kretschmann vom Landtag zum ersten grünen Ministerpräsidenten gewählt werden. Dann können Grüne und SPD nach 58 Jahren die CDU von der Regierung ablösen.

Kretschmann sagte, Grün-Rot sei ein gemeinsames Projekt. „Ich freue mich auf ein gemeinsames Regieren mit unseren sozialdemokratischen Partnern.“ Der SPD-Landesvorsitzende Schmid meinte: „Der Aufbruch in die Moderne dieses Landes beginnt.“ Der Koalitionsvertrag sieht unter anderem den raschen Ausstieg aus der Atomkraft, umfassende Bildungsreformen sowie Steuererhöhungen für eine bessere Kinderbetreuung vor.

Der Vertrag für die erste grün-rote Koalition ist an einem geschichtsträchtigen Ort unterschrieben worden. Im Stuttgarter Eduard-Pfeiffer-Haus in der Heusteigstraße 45 wurde am 25. April 1952 nach mühevoller Fusion dreier einst selbstständiger Länder Baden-Württemberg gegründet. Hier wurde im Mai 1949 dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zugestimmt und im November 1953 die erste Landesverfassung verabschiedet. Der Landtag des jungen Bundeslandes tagte in dem ehemaligen Arbeiterwohnheim, bis 1961 das heutige Plenargebäude in der Konrad-Adenauer-Straße bezogen werden konnte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war zunächst der Württembergisch-Badische Landtag in den unversehrten Saal des früheren Arbeiterheims gezogen. Die bescheidenen Räumlichkeiten wurden gelegentlich als „parlamentarisches Armenhaus“ verspottet. Die ersten drei Ministerpräsidenten wurden in der Heusteigstraße gewählt: 1952 Reinhold Maier (FDP), 1953 Gebhard Müller (CDU) und 1960 Kurt Georg Kiesinger (CDU). In dem Plenarsaal bezeichnete 1954 der erste Bundespräsident Theodor Heuss das neue Bundesland im Südwesten als „Modell deutscher Möglichkeiten“.

Dem Landtag steht ein noch nie da gewesener Wahlkrimi bevor. Wenn der bisherige Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann an diesem Donnerstag zum ersten grünen Ministerpräsidenten gewählt wird, darf nicht mehr als ein Abgeordneter fehlen oder aus der Reihe tanzen. Sonst könnte Kretschmann durchfallen. Mindestens 70 der 138 Abgeordneten des neuen Landtags müssen Kretschmann ihre Stimme geben. Sollte Kretschmann allerdings auch im zweiten oder dritten Anlauf scheitern, dürften er und seine grün-rote Koalition politisch so angeschlagen sein, dass es fraglich wäre, ob sich der 62-jährige Politiker weiteren Wahlgängen stellen würde.

Schon einmal ist ein designierter Regierungschef durchgefallen: Erwin Teufel (CDU) wurde im Juni 1996 in einen zweiten Wahlgang gezwungen, weil dem seit 1991 amtierenden Ministerpräsidenten bei seiner Wiederwahl mehrere Abgeordnete in den eigenen Reihen die Gefolgschaft verweigerten. Statt aller 83 Stimmen von CDU und FDP bekam Teufel nur 77 Ja-Stimmen und verpasste damit die erforderliche Mehrheit der damals 155 Abgeordneten um eine Stimme. Mehrere Koalitionsabgeordnete votierten wohl deshalb nicht für Teufel, weil sie bei der Postenvergabe leer ausgegangen waren. Im zweiten Wahlgang wurde Teufel dann gewählt, bekam aber dennoch zwei Stimmen weniger als seine schwarz-gelbe Koalition Mandate hatte. (dpa/abendblatt.de)