Hamburg. Dr. Sven Nagel, Chefarzt am AK Wandsbek und St. Georg, behandelt pro Jahr mehr als 1000 Patienten, die an Rückenschmerzen leiden.

„Ich habe Rücken“ – das sagt längst nicht mehr nur Hape Kerkelings Kunstfigur Horst Schlämmer, sondern schon jeder dritte Deutsche. Tendenz steigend. Dabei leiden die meisten Betroffenen über Jahre, ehe sie einen Arzt aufsuchen. „Viele behandeln sich erst mal selbst, frei nach der Devise: Ist von selbst gekommen, wird von selbst wieder gehen. Leider geht diese Rechnung nur selten auf“, sagt Wirbelsäulenexperte Dr. Sven Nagel, Chefarzt an den Asklepios Kliniken Wandsbek und St. Georg, in einer neuen Folge der „Digitalen Sprechstunde“.

Rücken: Körperliche Fitness schützt nicht vor Bandscheibenvorfall

Wirbelsäulenexperte Dr. Sven Nagel, Chefarzt an den Asklepios Kliniken Wandsbek und St. Georg.
Wirbelsäulenexperte Dr. Sven Nagel, Chefarzt an den Asklepios Kliniken Wandsbek und St. Georg. © Mark Sandten / Funke Foto Services

Mehr als 1000 Patienten sieht der Leiter des Interdisziplinären Wirbelsäulen- und Skoliosezentrums jedes Jahr, die meisten klagen über Schmerzen, die bis in die Beine schießen, auf die Arme ausstrahlen oder, falls sie vom Nacken herrühren, in den Kopf ziehen. „Es stimmt nicht, dass tolle körperliche Fitness vor Rückenleiden schützt. Auch der Durchtrainierteste kann einen Bandscheibenvorfall bekommen“, sagt der Sportmediziner, der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie ist.

Ein Bandscheibenvorfall treffe die meisten im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. „Also in einer aktiven Zeit, in der meistens beruflich und privat viel passiert und ein großer Druck da ist.“ Die klassischen Verschleißerscheinungen träten dagegen erst ab Mitte 50 auf. Grundsätzlich werde Rückenschmerz nach Ursache kategorisiert.

Hexenschuss ereilt 85 Prozent der Menschen

Die Kernfrage laute: Ist es ein funktionelles oder ein strukturelles Problem? „Ersteres ist zum Beispiel der klassische Hexenschuss, dieser akute Kreuzschmerz, der 85 Prozent der Menschen mindestens einmal im Leben erwischt. Dabei verkrampft sich ein Muskel, das ist eine temporäre Angelegenheit“, erklärt der Mediziner. „So jemanden kann man theoretisch sehr schnell wieder fit spritzen.“

Kontraproduktiv sei dieses Vorgehen jedoch bei Patienten mit einem strukturellen Problem, deren Gewebe verletzt oder verändert sei. „Die denken dann auch, sie seien wieder fit. Doch kaum lässt die Wirkung der Medikamente nach, fallen sie oft in ein noch tieferes Loch.“

Wärme und Bewegung im Wasser helfen anfangs gut

Bei leichten Rückenschmerzen helfe Wärme und auch Bewegung sei gut, am besten im Wasser. „Der erste Impuls bei Rückenschmerz ist es, sich hinzulegen. Das tut zwar erst mal gut, hilft aber nicht. Ich rate dazu, mobil zu bleiben – notfalls mit Hilfe von Schmerzmitteln“, so der Chefarzt, der selbst gern Tennis spielt („Ich weiß, nicht besonders rückenschonend. Aber ich bin einfach kein Schwimmer. Ich sage immer: Beim Triathlon würde ich ertrinken“).

Doch wann ist eine Operation unausweichlich? „Bei Lähmungen und auch bei Entzündungen, die sich meist mit hohem Fieber, mit Rötungen der Haut und starken Schmerzen äußern.“ Auch bei einigen Brüchen werde zur Operation geraten – schon allein, um mögliche Lähmungserscheinungen zu verhindern. „Das alles sind sogenannte harte Gründe. Da stellt sich nicht die Frage, ob wir operieren, sondern nur wann.“

Ein weicher Grund sei dagegen, wenn jemand vorsorglich operiert werden wolle, weil er seinem Empfinden nach zu stark leide und auch keine Schmerzmittel mehr nehmen wolle. „In solchen Fällen muss man immer schauen, dass der Wunsch des Patienten und das Angebot des Arztes deckungsgleich sind“, sagt Dr. Sven Nagel. „Mal die Erwartungshaltung abklopfen. Totale Schmerzfreiheit ist ein nachvollziehbarer Wunsch, den wir aber nicht automatisch erfüllen können.“ Ein Eingriff, der je nach Schweregrad bis zu acht Stunden dauern könne, sei auch immer eine körperliche Belastung.

Überraschendes Ergebnis zu Bandscheiben-Operationen

Anders sieht es bei Bandscheibenvorfällen aus, da dauere der Routineeingriff zwischen 20 und 45 Minuten. „Dazu gibt es eine aktuelle Studie, für die man operierte Patienten verglichen hat mit nicht-operierten. Also mit jenen, die durch konservative Methoden wie Physiotherapie wieder fit geworden sind. Das Ergebnis: Der Eingriff macht keinen Unterschied, beiden Gruppen geht es ein Jahr nach dem Vorfall gleich gut.“

Was Sie zum richtigen Schulranzen wissen sollten

Zum Schulstart rät der dreifache Vater, der mit einer Lehrerin verheiratet ist: „Halten Sie ihr Kind davon ab, den Ranzen allein nach Optik auszuwählen. Ja, ich weiß, wie schwierig das ist“, sagt der Mediziner und lacht. Eine Unterpolsterung im Bereich der Lendenwirbelsäule könne gut sein ebenso wie Gurte vor dem Körper, die einen Teil der Last aufs Becken abgeben.

„Achten Sie darauf, dass ihr Kind nur das einpackt, was es auch benötigt.“ Auch ein junger Körper brauche zwar Last, aber ein Gewicht von fünf Kilo sei für Erstklässler schon viel. „Deshalb immer beide Gurte benutzen – auch, wenn es vielleicht nicht ganz so cool aussieht“, so der Arzt, der in seiner Heimatstadt Hannover studiert hat und auch auf Skoliose (Veränderung der Statik, bei der die Wirbelsäule zur Seite ausgekrümmt ist) spezialisiert ist. „Diese Erkrankung, deren Ursache leider nicht geklärt ist, betrifft im Verhältnis 4:1 junge Mädchen. Aber wenn sie früh im Kindesalter erkannt wird, lässt sie sich gut behandeln – zum Beispiel mit einem Korsett.“

Gesundheits-Podcast mit Asklepios

Die „Digitale Sprechstunde“ ist die Gesundheitsgesprächsreihe von Hamburger Abendblatt und Asklepios. Jede Woche beantwortet ein Experte die Fragen von Vanessa Seifert.

Nächste Folge: Dr. Harald Hayek, Oberarzt in der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie an der Asklepios Klinik Barmbek, über den Diabetischen Fuß. Was sind die ersten Anzeichen? Was kann man vorsorglich tun und wann wird es lebensgefährlich?

Haben Sie Anregungen? Schreiben Sie uns gern eine E-Mail an sprechstunde@abendblatt.de