Die Hinweise verdichten sich, dass es sich bei dem Massaker an der Technischen Universität von Blacksburg nicht um die Affekthandlung eines Wahnsinnigen gehandelt hat. Die Bluttat war vielmehr eine planvoll organisierte Hinrichtung. Ein Arzt: “Er wollte sie töten.“

Blacksburg. Auch am Morgen nach dem schlimmsten Massaker an einer Universität in den USA kann niemand verstehen, was geschehen ist - und warum. Acht Jahre nach den Todesschüssen in Columbine kommen die Nachrichten diesmal aus der Stadt Blacksburg im US-Bundesstaat Virginia. Auf dem idyllischen Campus der Technischen Universität der Stadt hat ein Student ein Massaker angerichtet, wie es selbst für die USA beispiellos ist. Bevor er sich selbst richtete, tötete der junge Mann am Montagmorgen mindestens 33 Menschen und schoss etwa ein Dutzend weitere an, die meisten davon Studenten wie er.

Die Tötungsorgie begann einem Mitstudenten zufolge nach einem Streit des Täters mit seiner Freundin. Der Schütze, habe im Studentenwohnheim mit seiner Freundin gestritten und diese plötzlich niedergeschossen, berichtete der taiwanesische Student Chen Chia-hao in einem Telefoninterview des taiwanesischen Kabelfernsehkanals CTI aus den USA.

Die Polizei musste sich fragen lassen, wie es kommen konnte, dass der Täter zwei Stunden nach seinen ersten tödlichen Schüssen in einem Universitätsgebäude noch einmal und noch grausamer zuschlagen konnte. Studenten und ihre Angehörigen werfen der Universitätsleitung zudem schlechtes Krisenmanagement vor. Ein erster Notruf war am Morgen um 7.15 Uhr aus dem Studentenwohnheim "West Ambler Johnston Hall" eingegangen, das nur etwa 800 Meter von dem Unterrichtsgebäude "Norris Hall" entfernt liegt, in dem der Täter die meisten seiner Opfer fand. Der junge Mann erschoss in dem von 900 Studenten belegten Heim einen Kommilitonen und eine weitere Studentin.

"Wir wussten von den Schüssen, aber wir dachten, der Vorfall ist auf diesen Ort begrenzt", räumt Universitätspräsident Charles Steger später ein. Er hatte seine etwa 26 000 Studenten erst kurz vor dem zweiten Angriff des Täters per E-Mail gewarnt.

Langsam klärt sich, was in den Morgenstunden des Montag passiert ist: Den Augenzeugen zufolge war es weniger ein Amoklauf als ein kaltblütig geplanter Massenmord. Der Mann verübte seine Tat wortlos, in großer Ruhe und geradezu systematisch. Er war offenbar gut vorbereitet und wusste, was er tat. Er ließ seinen Opfern keine Chance zur Flucht und hatte die Türen des Unterrichtsgebäudes, in dem er schießend von Kurs zu Kurs ging, mit eisernen Ketten versperrt.

Die Universität gab bekannt, dass der Student aus Asien stammte, an der Hochschule eingeschrieben war und selbst in einem Wohnheim auf dem Campus wohnte. Augenzeugen berichten, er sei etwa 1,80 Meter groß und ganz in Schwarz gekleidet gewesen. Angeblich trug er einen schwarzen Ledermantel und einen dunkelbraunen Hut. Die Polizei fand den Täter schließlich tot im zweiten Stock des Gebäudes, das er sich für seine Taten ausgesucht hatte. Derek O'Dell nahm gerade an einem Deutschkurs teil, als die Tür aufging und der Student zunächst auf einen Kommilitonen und den Sprachlehrer schoss. Dann habe der Mann seine Waffe der Reihe nach auf fast alle anderen Kommilitonen in dem Raum gerichtet, erzählt O'Dell dem US-Nachrichtensender CNN. "Ich habe mich unter dem Tisch versteckt und er schoss nach und nach auf jeden in der Klasse", sagt er. "Es waren wahrscheinlich 15 bis 20 Leute da und er hat auf zehn bis 15 von ihnen geschossen." Der Student selbst erlitt eine Schusswunde am Arm.

"Dieser Typ hatte ein klares Ziel, er wollte jeden, der ihm vors Visier kam, töten. Es ging ihm nicht allein darum abzudrücken, er wollte sie töten." So beschreibt der Arzt Joseph Cacioppo seinen Eindruck. Er arbeitet in der Notaufnahme des Krankenhauses, in dem die Verletzten eingeliefert wurden. "Alle Opfer hatten mehrere Schusswunden", sagt Cadioppo. "Selbst diejenigen mit den leichtesten Wunden hatten mehrere Schüsse abbekommen."

Noch Stunden nach der Tat suchen Angehörige und Kommilitonen verzweifelt Kontakt zu Vermissten. Psychologen standen bereit, um die unter Schock stehenden Menschen zu betreuen. Sechs Austauschstudenten und Nachwuchswissenschaftler der Technischen Universität Darmstadt sind mit dem Schrecken davon gekommen: Alle seien wohlauf, teilt die deutsche Partner-Hochschule der Universität in Blacksburg mit. Die beiden Gast-Studenten aus Virginia werden den Angaben zufolge in Darmstadt besonders betreut.

Auch die 18-jährige Aimee Fausser hat das Massaker heil überstanden. Sie hatte sich am Morgen noch über die Einsatzwagen vor dem Wohnheim gewundert, in dem der Täter seine ersten Opfer erschossen hatte. "Ich dachte noch: seltsam. Aber dann bin ich ganz normal in den Unterricht gegangen", erzählt sie. "Im Nachhinein betrachtet war das keine gute Idee."