Über den Dächern von Dresden war die Freiheit nicht grenzenlos: Nach 20 Stunden auf dem Gefängnisdach wird Mario M. für verhandlungsunfähig erklärt. Die Gründe: Müdigkeit und Gleichgewichtsstörungen.

Dresden. Die nach 20 Stunden beendete Flucht des Peinigers von Stephanie auf ein Gefängnisdach verzögert den Prozess. Der zweite Verhandlungstag begann am Dienstag um 9 Uhr vor dem Dresdner Landgericht, fünf Stunden nachdem der Angeklagte Mario M. vom Dach heruntergekommen war. Ein von der zweiten Großen Strafkammer beauftragter Amtsarzt erklärte den 36-Jährigen nach einer Untersuchung für verhandlungsunfähig. Danach vertagte das Gericht den Prozess auf den 21. November.

Mario M. hatte von Mittwoch, 7.30 Uhr, bis Donnerstag, 3.45 Uhr, auf dem Dach der Dresdner Justizvollzugsanstalt ausgeharrt und war im dauernden Gesprächskontakt mit zwei Psychologen der Verhandlungsgruppe des Landeskriminalamts. Schließlich stellte er sich einem Beamten des Sondereinsatzkommandos, wie die Polizei mitteilte. Der Angeklagte wurde mit einer Hebebühne zurück zum Boden gebracht. Am Donnerstag teilte der sächsische Justizminister Geert Mackenroth auf einer Pressekonferenz mit, dass Mario M. damit gedroht hatte, im Fall eines polizeilichen Zugriffs vom Dach zu springen.

Gegen 9 Uhr wurde der Angeklagte mit verstärkter Bewachung, begleitet von sieben Polizisten eines Sondereinsatzkommandos und in Handschellen und Fußfesseln in den Verhandlungssaal geführt. Der Arzt erklärte, der Angeklagte habe Gleichgewichtsstörungen und Ermüdungserscheinungen. Mario M. habe vergangenen Sonntag das letzte Mal etwas gegessen. Er sei für zwölf Stunden verhandlungsunfähig, sagte der Mediziner.

Ursprünglich war für Donnerstag die Vernehmung von Stephanie als Zeugin vorgesehen. Ihr Vater hatte jedoch erklärt, nach der Flucht des Angeklagten aufs Gefängnisdach sei ihre Sicherheit nicht gewährleistet.

Der Rechtsanwalt der Familie, Ulrich von Jeinsen - er vertritt im Prozess die Nebenklage -, erklärte, die 14-Jährige werde abgeschirmt und gehe vorerst nicht mehr zur Schule. Sie habe die Nachricht von der Aktion des Angeklagten relativ gefasst aufgenommen, aber es sei "ein sehr fragiles Gerüst". Jeinsen fügte hinzu: "Wenn wir es fertig bekommen, sie durch therapeutische Maßnahmen zu stabilisieren, wird sie aussagen."

Der Verteidiger des Angeklagten, Andreas Boine, erklärte, seine Aufgabe sei nicht leichter geworden. Er müsse darauf achten, dass sein Mandant am Leben bleibe, und sei froh, dass sich die Situation so gelöst habe.

Zu Beginn des Prozesses am Montag hatte Mario M. unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein umfassendes Geständnis abgelegt. Der einschlägig Vorbestrafte ist der Geiselnahme in Tateinheit mit Kindesentziehung, Körperverletzung und des sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen und des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 24 Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung angeklagt. Laut Anklage entführte er am 11. Januar die damals 13-jährige Stephanie und hielt sie in seiner Wohnung bis zu ihrer Befreiung am 15. Februar gefangen.