Dem HSV fehlt Konstanz – Sportpsychologe Olaf Kortmann erklärt vor dem Gladbach-Spiel, wieso der Druck auf Trainer Zinnbauer zunimmt.

Hamburg. Spiel eins nach der Blamage. Der HSV trifft heute um 15.30 Uhr auf Borussia Mönchengladbach und muss zeigen, dass Spieler und Trainer das 0:8 beim FC Bayern aus den Kleidern geschüttelt haben. Doch die Zweifel sind groß, zu verheerend war das Erlebnis am vergangenen Wochenende. „Ich glaube im Moment nicht, dass Trainer Joe Zinnbauer das schafft“, sagt Olaf Kortmann eine weitere Schlappe voraus. Der renommierte Mental-Coach und frühere Erfolgs-Trainer der HSV-Volleyballer stellt gravierende Fehler fest.

Die schwere Niederlage in München, fürchtet Kortmann, habe tiefe Spuren hinterlassen. Nicht nur wegen der Höhe des Ergebnisses. „Aus Naivität und Unerfahrenheit hat Joe Zinnbauer in München etwas versucht. Das war taktisch grob fahrlässig. Die Spieler haben ohnehin schon wenig Vertrauen in sich selbst, und nun verlieren sie auch das Vertrauen in den Trainer.“ Verändertes Personal, veränderte Marschrichtung – derartige Maßnahmen müssten greifen, um das Team vom Übungsleiter zu überzeugen.

„Dabei ist nicht die Frage, ob die Mannschaft für oder gegen den Trainer spielt“, so Kortmann. „Ich habe in den vergangenen Jahren viele HSV-Profis kennengelernt. Da war keiner dabei, der bewusst einen Trainer abschießen wollte. Aber Zinnbauers taktische Maßnahmen haben das Team verunsichert.“ Oder am Beispiel des jungen Ronny Marcos, der gegen Arjen Robben auf verlorenem Posten stand, drastisch ausgedrückt: „Durch solche Entscheidungen gräbt sich der Trainer sein eigenes Grab.“

„Van der Vaart ist kein Leader“

Dass Zinnbauers Maßnahmen generell auf eine fragile Mannschaft treffen, ist unbestritten. Manager Peter Knäbel hat eine „psychische Instabilität“ ausgemacht, die „wahnsinnig“ sei. HSV-Legende Horst Hrubesch mahnte gleichsam: „Der Charakter der Mannschaft muss sich ändern. Es geht nicht um den Charakter jedes Einzelnen, das sind alles gute Jungs“, so der einstige Mittelstürmer. Aber in der gezeigten Form habe sich das Team niemals solch eine herbe Niederlage gefallen lassen dürfen.

HSV-Idol Uwe Seeler sieht Joe Zinnbauer in der Pflicht: „Der Trainer weiß auch, dass er Fehler gemacht hat. Daraus muss er nun die richtigen Schlüsse ziehen, damit es besser wird.“ Der frühere Mannschaftskapitän Nico Hoogma hat das 0:8 daheim in den Niederlanden am Fernseher geschaut. „Was mich erschreckt hat, war, dass sich niemand gewehrt hat“, so Hoogma. „Robben ist ein Weltklassemann, den muss man in den ersten paar Minuten ein paar Mal umhauen.“ Hat man aber nicht, auch weil Führung innerhalb der Mannschaft fehlt. „Da war nichts zu sehen von Zusammenstehen“, sagte Hoogma.

Das weiß auch Olaf Kortmann. „Rafael van der Vaart beispielsweise ist kein Leader“, sagt der Mental-Coach. „Er ist ein Individualist und im Prinzip auch kein Vorbild mehr, weil er seine Rolle nicht mit entsprechenden Leistungen untermauert.“ Jedes Team vertrage einen oder zwei derartige Individualisten, die Kapitänsbinde müsse aber von einer Führungsfigur getragen werden. „Eigentlich kann sich der HSV van der Vaart als Kapitän nicht mehr leisten.“ Eigentlich – aber wer ist in der Truppe die Alternative?

Zinnbauer erwartet Reaktion

Die HSV-Verantwortlichen haben jedenfalls die Lücken in der oberen Hierarchie-Ebene der Bundesliga-Mannschaft längst erkannt. Die Verpflichtungen der Spieler Valon Behrami, Cleber oder auch Ivica Olic galten alle dem Versuch, Siegeswillen einzupflanzen. Bedauerlicherweise waren Behrami und Cleber wegen Verletzungen in München gar nicht dabei, Olic musste leicht angeschlagen schon früh ausgewechselt werden. Wenn nicht schon heute gegen Mönchengladbach, so gelten diese drei doch wenigstens als Hoffnungsträger für die kommenden Wochen.

Kortmann ist nicht überzeugt, dass diese Personalien dem Trainer nachhaltig helfen werden: „Die Frage ist, ob der Trainer selbst stabil ist. Die Situation steht für ihn auf Messers Schneide.“ Es habe den Anschein, dass dem Coach „das nötige Fachwissen“ fehle, sagt Kortmann. „In der Wirtschaft erfolgreich zu sein und die U23 betreut zu haben – das reicht nicht. Bei der U23 ist es leichter als mit den Profis. Hauruck-Reden und das Vereinbaren von Zielvorgaben – all das verbraucht sich schnell.“

Gleichwohl: Sollte es einen Sieg geben gegen Mönchengladbach, dann habe Zinnbauer in der Öffentlichkeit seinen Kopf aus der Schlinge gezogen. Bayern könnte als Ausrutscher verkauft werden, aus dem Lehren gezogen wurden – als eine Art „Anfängerfehler“, so Kortmann. Hier möchte auch Zinnbauer ansetzen. „Ich erwarte, dass wir dort anfangen, wo wir vor Bayern aufgehört haben. Wir dürfen nicht denken, dass wir alles falsch gemacht haben – das haben wir nur in München.“ Es sei auch Anspruch der Mannschaft, eine Reaktion zu zeigen.

Kortmann glaubt an das Konzept

Grundsätzlich sieht Olaf Kortmann den HSV durchaus auf der richtigen Spur. „Ich glaube langfristig an das Konzept“, sagt Kortmann. „Bernhard Peters und Peter Knäbel sind gute Leute. Aber auch sie scheinen verunsichert, weil selbst diejenigen Spieler, die sie geholt haben, die Erwartungen nicht erfüllt haben. Es ist dadurch noch kein Mannschaftsgefüge entstanden.“ Weil dies auch schwierig sei und im Sommer ein weiterer personeller Umbruch ansteht, glaubt Olaf Kortmann an einen langfristigen Prozess.

„Das Konzept greift nicht schnell.“ Rückkehr zu nachvollziehbaren Personalentscheidungen – einfache taktische Vorgaben, die schon zu Erfolgen geführt haben. Darin sieht Olaf Kortmann kurzfristig die Chancen auf Wiederbelebung. „Erfolgserlebnisse sind der Schlüssel, durch sie baut sich Stabilität auf“, erklärt Kortmann. Allerdings seien diese Erfolgserlebnisse auch kein Zufallsprodukt, und deswegen fällt ihm grundsätzlich der Glaube an diese Reaktion schwer: „Ich fürchte, Zinnbauer hat schon zu viele Fehler gemacht.“