Muslime als Entdecker Amerikas? Die islamische Welt hat Besseres verdient als eine plumpe Geschichtsfälschung

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat in einem Punkt völlig recht: Amerika ist natürlich nicht 1492 von Christoph Kolumbus entdeckt worden. Wie sollte denn auch ein Kontinent entdeckt werden können, der bereits seit mindestens 12.000 Jahren besiedelt war und auf dem bei Kolumbus’ Ankunft wohl 100 Millionen Menschen lebten? Und wollte man die ersten Besucher von jenseits des Atlantischen Ozeans nennen, dann wären dies „Graenlendingar“ wie Leif Eriksson, aus Island stammende Wikinger, die um das Jahr 1000 herum von Grönland aus nach Westen segelten und sich erbitterte Kämpfe mit den „Skraelingern“ lieferten, wie sie die nordamerikanischen Indianer nannten. Archäologische Ausgrabungen haben die Anwesenheit der Nordmänner in Amerika bewiesen.

Erdogans überraschende Verkündigung, es seien Muslime gewesen, die Amerika bereits 1178 entdeckt hätten, basiert dagegen allein auf Behauptungen von umstrittenen muslimischen Forschern wie Youssef Mroueh. Der hat in einem Artikel davon gesprochen, dass Kolumbus in seinen Aufzeichnungen eine Moschee auf Kuba erwähnt habe. Die seriöse Wissenschaft wertet diesen Eintrag jedoch ganz anders: Kolumbus habe lediglich die Form eines Bergvorsprungs an der kubanischen Küste mit einer Moscheekuppel verglichen. Für Erdogans skurrile Behauptung, das damalige Amerika sei gar voller Moscheen gewesen, findet sich schon gar kein Beweis. Der türkische Präsident, der auch den historisch gesicherten Völkermord an den Armeniern gern etwas anders interpretiert, will die Geschichtsschreibung auf Biegen oder Brechen zugunsten der Muslime ändern und diese windige Enthüllungsgeschichte sogar in türkischen Schulbüchern verankert wissen. Man mag dies als weiteren Beweis dafür werten, dass der neue Sultan in seiner hemmungslosen Machtentfaltung ein Stück weit den Bezug zur Realität verloren hat. Doch die Hintergründe reichen viel tiefer.

Einen Hinweis gibt bereits Erdogans Äußerung in Richtung seiner Kritiker, der Westen traue den Muslimen eine solche Entdeckung wohl nicht zu. Es ist nun hinreichend bekannt, dass die muslimische Welt im Mittelalter der westlich-christlichen auf vielen Gebieten weit voraus war. Und Muslime wären gewiss fähig gewesen, eine so weite Seereise anzutreten. Aber die Entdeckung eines riesigen neuen Kontinents würde sich dann ja wohl in muslimischen Dokumenten finden. Dass der Westen heute in wissenschaftlich-technologischen Bereichen weit vorn liegt, hat vor allem damit zu tun, dass er sich per Reformation und Aufklärung von lähmenden religiösen Dogmen und Despotien befreit hat. In vielen muslimischen Ländern, deren intelligente Bürger durch Intoleranz und miserable Regierungsführung geknebelt werden, gibt es diffuse Minderwertigkeitsgefühle gegenüber dem Westen, namentlich den USA. Indem Erdogan suggeriert, ausgerechnet Amerika – also der stärkste Teil der christlich-westlichen Zivilisation – sei von Muslimen entdeckt und besiedelt worden, hebt er das Selbstbewusstsein der Muslime enorm.

Recep Tayyip Erdogan hat viel erreicht in der Türkei, aber seit einigen Jahren ist eine beunruhigende Rückwendung zu einem rigiden Islam zu verzeichnen. Im Alter kehrt er zu seinen islamistischen Wurzeln zurück: Als Jugendlicher war Erdogan Mitglied in einer militant-islamistischen Untergrundorganisation, später erhielt er vom türkischen Staatssicherheitsgericht eine zehnmonatige Haftstrafe und ein Berufsverbot als Politiker. Und zwar für Aussagen wie diese: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“ Er steht im Verdacht, eine „Herrschaft des Islam“ errichten zu wollen; eine geänderte Geschichtsschreibung zugunsten der Muslime mag ein Teil dessen sein. Die islamische Welt mit ihrer reichen Kultur hat jedoch Besseres verdient als eine plumpe Fälschung und ist darauf auch nicht angewiesen.