Die Gesetze zu Vorsorge-Untersuchungen müssen auch durchgesetzt werden.

Eine offenbar überlastete Mutter schlägt in einem Bus auf ihr Kleinkind ein und droht weitere Schläge für später an – eine Szene, die leider sicherlich kein Einzelfall ist, aber nun doch zu einer Besonderheit wird, denn ein anderer Fahrgast fotografierte den Vorgang. Dieses Dokument wurde der Polizei ausgehändigt, die dann ebenso aufwendig wie erfolglos versuchte, die Mutter zu ermitteln. Sechs Wochen lang. Dann, nach einer Veröffentlichung des Fotos im Internet, wurde die Täterin nach wenigen Minuten identifiziert; zum Glück konnte die Polizei schnell feststellen, dass das Kind lebt und es unversehrt ist.

Es hätte aber auch verletzt sein können oder gar tot, die geschilderte Tat gab durchaus Anlass zu dieser Befürchtung. Und dann? Großes Entsetzen, Trauermärsche, Schuldzuweisungen, Parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Und das Bekunden, es in Zukunft besser machen zu wollen. Viel besser. Was aus solchen Ankündigungen dann aber wirklich wird, zeigt ein Blick auf eine Statistik, die jetzt durch die Antwort des Senats auf eine CDU-Anfrage bekannt wurde und die aufzeigt, wie groß die Zahl der Eltern ist, die sich den vorgeschriebenen ärztlichen Untersuchungen ihrer Kinder verweigern.

Nachdem in den vergangenen Jahren vier Kinder ihr Leben verloren hatten, weil Eltern zu Täter wurden, aber auch soziale Dienste, Familiengerichte und Schulen zuvor nicht richtig auf eindeutige Misshandlungs-Indizien reagiert hatten, wurde ein Maßnahmenpaket geschnürt, das wenigstens die Wiederholungsgefahr minimieren sollte. Doch Gesetze sind nur dann etwas wert, wenn sie im Alltag auch durchgesetzt, also überprüft und bei Missachtung sanktioniert, werden können. Ist das nicht der Fall, höhlt sich der Rechtsstaat selbst aus, auch moralisch – die einen, die sich an die Vorschriften halten, fühlen sich bevormundet, die anderen kommen ungeschoren davon und verlieren den letzten Respekt vor den staatlichen Gewalten.

Und ganz konkret: Wenn die Pflicht zur schulärztlichen Untersuchung zumindest in einigen Bezirken nicht vollständig durchgesetzt wird, ist das ganze Verfahren überflüssig. In Mitte etwa wurden 15 Prozent der Kinder weder bei einer der U-Untersuchungen noch bei der schulärztlichen Begutachtung vorstellig, und es ist kein böser Wille anzunehmen, dass darunter Kinder sind, die in sozial prekären Verhältnissen aufwachsen und deren Wohl gefährdet sein könnte. Doch genau diese Fälle galt und gilt es frühzeitig herauszufiltern. Dass der ganz überwiegende Teil der Eltern besorgt und liebevoll mit den eigenen Kindern umgeht, war immer klar – das zu beweisen war jedenfalls nicht das Ziel der verpflichtenden Untersuchungen. Um auch wirklich jedes Kind zu schützen und keinen Stadtteil und keine Bevölkerungsgruppe zu diskriminieren, mussten eben alle mitmachen. Geschieht dieses nicht, bleibt nur ein großer Verwaltungsaufwand ohne konkreten Nutzen. Dann wäre es besser, der Staat und die Gesellschaft würden sich eingestehen, dass ein solcher größtmöglicher Schutz eben nicht zu leisten ist. Jedenfalls nicht mit den Mitteln, die man bestenfalls bereit ist, dafür zur Verfügung zu stellen.

Wer dieses aber nicht möchte, muss ganz konkret jene Bereiche stärken, die in den Behörden die Einhaltung der Gesetze zum Kindeswohl überprüfen. Das ist teuer, aber eine oberflächliche Verfahrensweise, wie sie jetzt für einige Bezirke dokumentiert wurde, ist auch teuer – und zudem noch weitgehend nutzlos.

Einfacher ist da die Lösung des eingangs geschilderten Vorfalls. Wenn, wie hier nachvollziehbar dokumentiert, von einer Kindeswohlgefährdung konkret auszugehen ist, muss schneller gehandelt werden. Die Hürden für Öffentlichkeitsfahndungen sind in solchen Fällen schlicht zu hoch.