2228 Erstklässler sind im vorigen Schuljahr der vorgeschriebenen Erstuntersuchung ferngeblieben. CDU warnt: So werden Misshandlungen übersehen

Hamburg. Bei den schulärztlichen Untersuchungen, die in Verantwortung der Bezirksämter durchgeführt werden, weist Hamburg massive Missstände auf. Im vergangenen Schuljahr sind bei der Schuleingangsuntersuchung, bei der Ärzte künftige Grundschüler in Augenschein nehmen, 2228Kinder trotz gesetzlicher Verpflichtung nicht untersucht worden – das sind 14 Prozent der gemeldeten Erstklässler (jeder Siebte), im Schuljahr 2012/2013 waren es sogar 18 Prozent (fast jeder Fünfte). Das geht aus einer Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Christoph de Vries hervor.

„Dass mehr als 2200 Kinder nicht im Rahmen der Anmeldung schulärztlich begutachtet wurden, verstößt nicht nur gegen das Hamburgische Schulgesetz, sondern bedeutet auch eine potenzielle Gefährdung ihrer Schullaufbahn“, kritisierte de Vries. Die Schuleingangsuntersuchung dient dazu, etwa mögliche Entwicklungsstörungen, Sprachprobleme, aber auch Anzeichen von Misshandlungen festzustellen. „Der Senat muss dafür sorgen, dass alle Kinder hamburgweit schulärztlich untersucht werden“, forderte de Vries. Handlungsbedarf bestehe vor allem in den Bezirken Mitte und Wandsbek.

Im Bezirk Mitte wurden im Schuljahr 2013/2014 von 2627 gemeldeten Erstklässlern nur 2087 untersucht. Das bedeutet: Jedes fünfte Kind hat nicht an der Schuleingangsuntersuchung teilgenommen. Im Bezirk Wandsbek waren es mit 969 Kindern sogar 26 Prozent der Erstklässler. „Unverständlich ist, warum im Bezirk Wandsbek eine Schularztstelle im vergangenen Jahr gestrichen wurde“, sagte Christoph de Vries. Laut Senatsantwort gab es zum Stichtag 1.Januar 2013 noch 5,6 Stellen, zum Stichtag 22.September 2014 werden nur noch 4,6 Stellen aufgeführt.

In Wandsbek kam sogar jedes vierte Kind nicht zur Eingangsuntersuchung

Den CDU-Politiker empört vor allem die hohe Zahl an Kindern, die nicht zu der sogenannten „ersten schulärztlichen Untersuchung“ nach Paragraf 34 des Hamburgischen Schulgesetzes gekommen sind. Diese ist unter anderem für alle Jungen und Mädchen verpflichtend, die nicht an den Vorsorgeuntersuchungen teilgenommen haben. Im vergangenen Schuljahr sind 71 der 655 geladenen Kinder, also elf Prozent, nicht zu den Untersuchungsterminen erschienen – im Schuljahr 2012/2013 waren es ebenfalls zwölf Prozent.

„Diese Kinder drohen durch das Raster zu fallen, wenn niemand einen Blick auf ihre körperliche Verfassung hat und Gefährdungen wie etwa Misshandlung feststellen kann“, sagte de Vries. Besonders bei diesen Kindern müsse der Staat wachsam sein und alle Möglichkeiten ergreifen, dass die Untersuchungen flächendeckend stattfinden. „Die Nichtteilnahme an den U-Untersuchungen und beim Schularzt kann ein Indiz dafür sein, dass Eltern etwas vertuschen wollen“, sagte er. Insbesondere in sozial schwächeren Milieus wie in einigen Stadtteilen im Bezirk Mitte sei es nicht akzeptabel, wenn 15 Prozent dieser Kinder nicht untersucht werden.

Laut Senat gibt es vier Gründe für die nicht durchgeführten schulärztlichen Untersuchungen: Nichterscheinen trotz Einladung, die Eltern lehnen die Untersuchung ab, Terminschwierigkeiten und Wegzug aus dem Bezirk. In der aktuellen Drucksache räumt der Senat ein, dass es im Bereich der Schuluntersuchungen durchaus Defizite gibt. „Die zuständige Behörde sieht Verbesserungspotenziale bei der Anzahl der durchgeführten Untersuchungen“, heißt es in der Senatsantwort. Bezirksämter und die Gesundheitsbehörde hätten vereinbart, die vorhandenen Ressourcen effektiver aufeinander abzustimmen. „Bezirksintern und auch zwischen den Bezirken und der Gesundheitsbehörde wurden und werden intensive Gespräche zur Verbesserung der Untersuchungsquoten der schulärztlichen Untersuchungen, insbesondere der Schuleingangsuntersuchungen, geführt“, sagt Roland Ahrendt, Sprecher der Gesundheitsbehörde.

Der Deutsche Kinderschutzbund ist dennoch besorgt. Dass Hunderte Erstklässler nicht untersucht wurden, sei sehr bedauernswert, sagte Uwe Hinrichs, Geschäftsführer des Hamburger Kinderschutzbunds. Vor der Einschulung sei ein wichtiger Zeitpunkt, um den allgemeinen Gesundheitszustand zu begutachten. „Es ist seit Langem eine Forderung von uns, dass die Personaldecke in den bezirklichen Gesundheitsämtern so ausgestattet ist, dass die Untersuchungen lückenlos durchgeführt werden können“, so Hinrichs. Der CDU-Abgeordnete de Vries moniert dabei, dass die hohe Zahl nicht untersuchter Kinder letztlich auch Resultat der Personalkürzungen des Senats sei. „Diese treffen vor allem die Bezirksämter hart“, sagte er. „Sie sind längst nicht mehr in der Lage, ihre vielfältigen Aufgaben mit dem vorhandenen Personal umfassend und ordentlich zu erfüllen.“