Beim IT-Gipfel in Hamburg muss die Kanzlerin heute für neue Aufbruchstimmung sorgen

Wenn die Bundeskanzlerin mit einer Handvoll ihrer bedeutendsten Minister zum IT-Gipfel nach Hamburg kommt, ist das ein gutes Zeichen für eine Region, die wie kaum eine andere in Deutschland erfolgreiche (!) digitale Unternehmen anzieht. Hamburg arbeitet hart daran, auch in digitalen Zeiten Medienhauptstadt zu bleiben, da kann das wichtige Treffen der Spitzenpolitiker mit Wissenschaftlern und Wirtschaft nur helfen. Am besten wäre es, wenn heute von hier aus ein eindeutiges, starkes Signal für die Wirtschaft ausgehen würde. So etwas wie jene Impulse, die viele Unternehmer und Firmen in den vergangenen Monaten von der Bundesregierung vermisst haben.

Höchste Zeit dafür wird es zum einen, weil die digitale Agenda der Großen Koalition von denen, die sie vor allem betrifft, bisher weder richtig verstanden noch besonders gelobt wurde. Merkel und ihr Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) haben heute in Hamburg die Chance zu zeigen, dass ihr Kabinett konkrete Vorstellungen von der digitalen Zukunft des Landes hat, die statt eines Einbruchs zu einem weiteren Aufschwung der deutschen Wirtschaft führen können. Zum anderen wäre jetzt ein ausgezeichneter Moment für neue Lichtblicke in düsteren Aussichten.

Ja, ein angekündigtes „digitales Wirtschaftswunder“ käme gerade recht in einer Zeit, in der viel von schlechter Stimmung in Unternehmen und nach unten korrigierten Wachstumsprognosen die Rede ist.

Bleibt die Frage, ob gerade diese Regierung in der Lage ist, es auf den Weg zu bringen. Denn wenn es um die Wirtschaft und den Standort geht, hat die Große Koalition Deutschland in den vergangenen Monaten eher geschadet als genutzt – und wundert sich jetzt, dass man sich in vielen Teilen der Welt ausgerechnet um Europas größtes und bisher stabilstes Land Sorgen macht. Schuld daran sind Projekte, die auf den ersten Blick Hunderttausenden Menschen Vorteile und Vergünstigungen bringen – wie der Mindestlohn oder die abschlagsfreie Rente ab 63.

Auf den zweiten Blick führen solche Maßnahmen, Kritiker nennen sie Geschenke, aber dazu, dass Unternehmen Investitionen überdenken, Personalpläne korrigieren und neue Sparrunden beginnen – und damit genau das Gegenteil dessen tun, was angesichts eines weltwirtschaftlichen Abschwungs und der Angst vor der sogenannten Deflation nötig wäre. Wer sich wundert, dass man die Zurückhaltung der Unternehmen schon jetzt bemerkt, obwohl beispielsweise der Mindestlohn noch gar nicht in Kraft getreten ist, der hat die Wirtschaft nicht verstanden. Denn selbstverständlich stellen sich die Firmen und ihre Chefs bereits auf (zusätzliche) Kosten ein, die in den nächsten Jahren auf sie zukommen werden. Zudem werden sie nach den jüngsten wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen ihre Bewertung der Bundesregierung überdenken: Merkel und ihr Kabinett wirken aktuell so defensiv und wirtschaftsunfreundlich wie lange nicht mehr.

Ist der Einfluss der SPD, insbesondere Gabriels, doch viel stärker, als man zu Beginn der Großen Koalition angenommen hat? Unterschätzt die Bundeskanzlerin die Auswirkungen von wirtschaftspolitischen Maßnahmen wie Mindestlohn und Rente ab 63 in Kombination mit der sogenannten Schuldenbremse? Oder ist Deutschland, eine der wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt, im Jahr 2014 auf einem neuen, einem anderen Weg? Und wenn ja: auf welchem?

Es gibt viele Fragen, die man an diesem Dienstag in Hamburg stellen könnte. Die wichtigste aber ist: Wo sind sie, die Impulse, die dieses Land vielleicht nicht dringend, aber doch absehbar braucht, damit man anderswo nicht beginnt, sich ausgerechnet um die Bundesrepublik Sorgen zu machen?