Die Große Koalition erinnert nach einem Jahr an die Vorgängerregierung

Manchmal wiederholt sich Geschichte doch – zumindest drängt sich der Eindruck auf, wenn man dem Gezanke der Großkoalitionäre lauscht. Da fliegen die Fetzen, da streiten sich Ressort-Chefs wie Kesselflicker, und in Berlin gibt es die Rückkehr des „Rumpelstilzchens“ zu bestaunen. So titulierte der SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel nun CSU-Chef Horst Seehofer. „Rumpelstilzchen“? Vor vier Jahren soll der damalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) seinen Kabinettskollegen Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) mit dem grimmschen Märchenwesen verglichen haben. Die Stimmung in Berlin scheint inzwischen so ruiniert zu sein wie bei Union und FDP nach einem Jahr im Amt. Damals bedachten sich die Partner mit politischen Komplimenten wie „Wildsau“ oder „Gurkentruppe“. Das Schicksal der vermeintlichen Liebesheirat, es ist bekannt.

Im Zweckbündnis von Union und Sozialdemokraten wirft man sich nun Freundlichkeiten wie „Geisterfahrer“ zu – der so geschmähte Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), übrigens Erfinder der „Gurkentruppe“, steht im Mittelpunkt der Kritik. Das Gezerre um seine Maut zeigt die Grenzen dieser Großen Koalition auf. Zwar steht die Straßenbenutzungsgebühr im Koalitionsvertrag, doch dessen Halbwertszeit ist kurz, gerade mit Blick auf die anstehenden Wahlen in Brandenburg und Thüringen. Der Streit dürfte noch weitertoben. Denn die Mautpläne eignen sich gut, um sich wahlweise als Anwalt des Autofahrers oder als Durchsetzer deutscher Interessen zu präsentieren. Hinzu kommt, dass nur der kleinste Partner für die große Gebühr kämpft, die beiden anderen sie mehr oder minder ablehnen. Denn eine Maut bringt am Ende wenig Geld, aber viel Verdruss beim Bürger und den europäischen Nachbarn. Sie droht zum Desaster zu werden.

Auch sonst kommt das dritte Kabinett Merkel knapp ein Jahr nach der Bundestagswahl nicht so recht voran. Es mag die an Sitzen stärkste Regierungstruppe sein, gemessen an Ergebnissen ist sie die schwächste. Es hat nicht einmal zwölf Monate gedauert, um sich nach „Gurkentruppen“ und „Wildsäuen“ zurückzusehnen.

Die Große Koalition streitet nicht nur munter, noch munterer gibt sie das Geld aus. Als sei die derzeitige Hochkonjunktur gottgegeben, hat sie auf Kosten zukünftiger Generationen Milliarden Euro an Rentner verteilt. Die SPD bekam die volkswirtschaftlich törichte abschlagsfreie Rente mit 63 spendiert, die Union gönnte sich die fragwürdige Mütterrente. Das dürfte allein in dieser Legislaturperiode 30 Milliarden Euro mehr kosten. Auch bei Pflegereform oder Mindestlohn gilt: SPD und Union setzen stets das Gewünschte um, koste es, was es wolle. Und Angela Merkel, die in der Euro-Krise die „schwäbische Hausfrau“ und strenge Zuchtmeisterin gab, präsentiert sich hier als Gönnerin mit antiautoritärem Führungsstil. Derzeit mag das passen: Die schwache innenpolitische Performance wird überdeckt von besonnener Außenpolitik und wirtschaftlichem Rückenwind.

Das muss nicht so bleiben – zumal sich für SPD und Union neue Streitpunkte abzeichnen. Beide Parteien sitzen in einer Profilierungsfalle: Die Sozialdemokraten haben für ihre 25,7 Prozent enorm viel herausgeholt – doch der Wähler ignoriert das Erreichte. Die Union wiederum ist mit ihrer Sozialdemokratisierung extrem erfolgreich gewesen, doch nun stößt sie an die Grenzen: Am konservativen und wirtschaftsliberalen Rand beginnt sich die Alternative für Deutschland einzurichten und wird für die Union zu einer echten Bedrohung. Entweder zwingt sie der CDU Schritte nach rechts auf, um die abtrünnigen Wähler wieder einzufangen – oder die CDU läuft Gefahr, auf die Dauer mehrere Prozentpunkte zu verlieren.

So viel ist sicher: In Berlin dürfte weiter gestritten werden, das Gezerre um die Maut war erst der Anfang.