Warum die Nacht der Kirchen so erfolgreich ist

85.000 Zuschauer – das schafft selbst ein HSV-Spiel nicht. Den Kirchen gelang am Sonnabend dagegen eine kleine Sensation: Genau so viele Besucher kamen auf einen Schlag zur Hamburger Nacht der Kirchen. Dass die elfte Veranstaltung dieser Art erneut zum Publikumserfolg wurde, hat mindestens zwei Gründe. Da ist zum einen der große Schatz religiöser und kultureller Traditionen zu nennen. Die Gebete, Choräle, die Bibelworte und Werke großer Komponisten berühren noch immer die Herzen und Seelen der Menschen. Das große Interesse zeigt, dass die Sehnsucht nach religiösen Antworten auf die Fragen des Lebens ungebrochen ist. Außerdem verfügen die christlichen Gemeinschaften über die spirituelle Erfahrung, Räume der Ruhe und Momente der Geborgenheit zu gestalten. Wie anders ist sonst zu erklären, dass die St.-Petri-Hauptkirche zum Taizé-Gebet am Sonnabend um 18 Uhr bis auf den letzten Platz besetzt war.

Die Menschen strömen offenbar in die Kirchen, wenn sie das Programm wirklich anspricht und berührt. Das ist der zweite Grund für den Erfolg: Es sind die 1800 Ehrenamtlichen, die das Angebot mit den mehr als 500 Veranstaltungen vorbereitet und mitgestaltet haben. Sie wissen oft besser als die hauptamtlichen Kirchenleute, was an der Basis Sache ist. In der Nacht der Kirchen führen nicht starre liturgische Vorgaben, feste und frühe Gottesdienstzeiten oder gar die Monologe von Pastoren Regie, sondern die kreativen Ehrenamtlichen mit den ökumenischen Veranstaltern.

Kommen und Gehen gehören zum Grundrhythmus der besinnlichen Stunden bis Mitternacht. Was genau jener Flexibilität und Individualität entspricht, die zum Portfolio der modernen Leistungsgesellschaft zählt. Die Nacht der Kirchen lebt vom Prinzip der formalen Unverbindlichkeit, und darin liegt wohl auch eine Chance für die institutionalisierte Religion von heute. Der erneute Erfolg dieser Veranstaltung sollte Kirchen und Freikirchen ermutigen, weiterhin neue Formen für christliche Angebote auszuprobieren. Der Sonntagsgottesdienst um 10 Uhr ist dagegen längst nicht mehr das Maß aller Dinge.