Das Festival ist nicht nur Musik und Lebensgefühl, sondern auch eine starke Marke

Manchmal reichen 90 Minuten, um die Sichtweise auf ein Thema zu verändern, manchmal machen sie erst darauf aufmerksam, dass es ein Thema überhaupt gibt: Bevor 2006 Cho Sung-hyungs preisgekrönte Dokumentation „Full Metal Village“ auch dem nicht mit Heavy Metal beschäftigten Publikum zeigte, was für ein wunderbarer Zirkus einmal im Jahr ins verschlafenen Dörfchen Wacken im Kreis Steinburg einfällt, interessierten sich die überregionalen Medien nicht die Bohne für das laut Eigenbeschreibung größte Metal-Festival der Welt.

Doch mit den Bildern von fröhlichen Horden schwarz gekleideter Langhaariger und Dorfbewohnern, die die vereinte Subkultur nicht kritisch oder abschätzig beäugten, sondern sie mit offenen Armen willkommen hießen, war der Bann gebrochen. Auf einmal begannen auch Medien, die nicht gerade für ihre Affinität zu stahlharter Musik bekannt sind, über das Wacken Open Air zu berichten. Erst zaghaft, dann spöttisch und schließlich auch mit dem Auge dafür, dass die erste Augustwoche für Metalfans nicht nur irgendein beliebiger Termin ist. Sondern der Zusammenkunft gewordene Ausdruck eines Lebensgefühls.

Natürlich gibt es sie immer noch, die Berichterstatter, die nur eine Stippvisite unternehmen, die erstbesten Betrunkenen interviewen und sich, zurück im matsch- und staubfreien Büro, in den Sattel schwingen und vom hohen Ross der gefühlten Überlegenheit herabschauen auf die vermeintlich oberflächliche Masse Mensch, die scheinbar nichts im Sinn hat außer Vollrausch. Aber insgesamt ist der Tenor ein anderer geworden: Der Sinn für das Ungewöhnliche, der Versuch, das Fremde zu verstehen, hat Einzug gehalten in viele Texte, Wort- und Bildbeiträge. Statt sich lustig zu machen, wird nun auch auf echte Entdeckungsreise gegangen, werden die Geschichten hinter den martialischen Outfits erzählt.

Gleichzeitig hat sich auch das Festival selbst verändert, ist vom reinen Szenetreff zum Event geworden, mit Mittelaltermarkt, Einkaufsmeile, Flirtzelt und Merchandisingprodukten. Und das gestiegene Interesse am „Wacken-Gefühl“, es hat nicht nur Anhänger: Jedes Jahr werden die Stimmen lauter, die eine Rückkehr zur „reinen Lehre“ fordern, die sich nicht damit anfreunden können, dass ihre Subkultur Mainstream-fähig geworden ist, dass man Live-Übertragungen bei 3sat, Artikel und Reportagen nahezu überall findet.

Das Festival, das im Jubiläumsjahr nicht einmal zwei Tage nach dem Start des Vorverkaufs ausverkauft war, sorgt so auch dafür, dass kleinere, speziellere Events überleben. Wem Wacken als bloßer Kommerz gilt, wer keinem Promis wie Jan Delay über den Weg laufen will, die das Festival zur Selbstdarstellung nutzen, oder Wacken-Touristen, die nur des Erlebnisses wegen da sind, der orientiert sich um. Er fährt nicht in die norddeutsche Tiefebene, sondern in den Harz, nach Tschechien oder dorthin, wo nicht hinter gefühlt jeder zweiten Ecke eine Kamera oder ein Reporterteam lauert. Dass Wacken aber von einer anderen Veranstaltung abgelöst wird oder sich das Interesse legt, steht nicht zu erwarten. Zu fest etabliert ist der Termin bei den Fans aus der ganzen Welt, auch bei den Medienschaffenden, die jedes Jahr auf die Suche gehen nach dem Herz des Metal, dem Urgrund für die Faszination Wacken. Das zeigen auch der „Wacken 3D“-Kinofilm, die Ableger Full Metal Cruise und Hamburg Metal Dayz, die keine 25 Jahre brauchten, um sich zu etablieren. Die Metal-Kreuzfahrten und das ans Reeperbahn Festival angedockte kleine Festival in der Markthalle profitieren ebenso wie das Leinwandspektakel vom großen Namen, der hinter ihnen steht. Wacken, das ist nicht nur Musik, nicht nur ein Lebensgefühl. Wacken ist eine Marke, die jenseits des musikalischen auch stabilen wirtschaftlichen Erfolg verspricht.