Der Erfolg der radikalen Gotteskämpfer im Irak beruht auf massiven Fehlern der USA

Mehr als ein Jahrzehnt nach der US-geführten Invasion im Irak rächen sich nun die fundamentalen Fehler, die damals von der Regierung unter US-Präsident George W. Bush begangen wurden. Der bedrohliche Vormarsch der radikalislamistischen Terrormiliz Isis bringt nicht nur den Staat Irak an den Rand des Scheiterns.

Da Isis auch die virulenteste Kraft im benachbarten Syrien ist, entsteht ein riesiger staatenloser Raum, den die Gotteskrieger zum Training, zum Schmuggel von Waffen und zur Rotation von Kämpfern an beiden Fronten nutzen können. Die Geiselnahme von Dutzenden türkischen Staatsbürgern kommt obendrein einem Angriff auf das Nato-Land Türkei gleich, dessen Ministerpräsident Erdogan sich als eiserner Schutzpatron türkischer Interessen präsentiert. Die Hinnahme einer Demütigung kann sich Erdogan politisch nicht leisten.

Einige Aspekte der Eskalation wirken wie ein zynischer Treppenwitz. Das Regime des Tyrannen Saddam hatte sich, Giftgas-Massenmord inklusive, einst alle Mühe gegeben, die Kurden im Nordirak auszurotten. Auch die Türken führten viele Jahre Krieg gegen kurdische Rebellen und drangen dabei oft auf irakisches Territorium vor. Der Zerfall des Irak hat im Norden einen funktionierenden Kurdenstaat entstehen lassen – der nun als Bollwerk gegen Isis und als Zuflucht für irakische Flüchtlinge dient. Schon haben die Iraker den Kurden die Ölstadt Kirkuk abgetreten.

Grundlegende Ursache des Chaos ist die spektakulär verfehlte Irak-Politik von Bush. Die neokonservative US-Administration hatte den Irak in eine Modelldemokratie umwandeln wollen – als Teil des unfassbar überambitionierten Projekts „Greater Middle East“, mit dem diese gesamte Weltregion zu Amerika-kompatiblen Systemen mutieren sollte. Der Kardinalfehler im Irak war die Entscheidung des amerikanischen Prokonsuls Paul Bremer, die regierende Baath-Partei sowie die starke Armee kurzerhand aufzulösen. Damit zerbrachen die beiden Hauptsäulen, auf denen der irakische Staat ruhte. Tausende gut ausgebildete sunnitische Soldaten, ihrer Perspektiven beraubt, liefen zu Radikalen über. Und indem die USA die von Saddam unterdrückten Schiiten an die Macht brachten und Ministerpräsident al-Maliki nichts Vordringlicheres zu tun hatte, als seinerseits die Sunniten zu demütigen, gossen sie Öl in das schwelende Feuer des sunnitisch-schiitischen Schismas.

Es ist den USA und dem Maliki-Regime weder gelungen, funktionierende staatliche Strukturen noch eine wehrhafte Armee aufzubauen. Die Trotzhaltung Malikis sorgte dann noch für den Abzug gleich aller US-Truppen. In das Machtvakuum stießen al-Qaida-ähnliche Milizen. Angesichts der Tatsache, dass Amerika im Irak fast 4500 Soldaten verloren und eine Billion Dollar versenkt hat, ist eine Rückkehr mit Bodentruppen zur Rettung des irakischen Staates wenig wahrscheinlich. Möglicherweise ist es sogar schon für massive Waffenlieferungen an die marode irakische Armee zu spät, denn es ist bereits Schießzeug aus US-Lieferung in die Hände von Isis-Kämpfern gefallen. Malikis Plan, mit einem hastig bewaffneten Volkssturm Isis zurückwerfen zu wollen, ist ein einziger Offenbarungseid.

Die Siegesserie der fanatischen Sunniten im Irak und in Syrien stellt ebenfalls eine Bedrohung für den schiitischen Nachbarn Iran dar. In dem Bemühen, ein hochgerüstetes und aggressives sunnitisches Isis-Emirat im Irak und in Syrien als Kristallisationspunkt eines globalen Dschihad verhindern zu wollen, dürften sich plötzlich die Interessen der Kurden, der Iraner, der Amerikaner, der Türken und der Israelis decken. Für die Menschen in der Region verheißt dies alles aber nichts Gutes.