Hamburg sollte nach den massiven Pannen auf den Einsatz der Fußfessel verzichten

Zu den größten Herausforderungen freiheitlicher Gesellschaften zählt der Umgang mit Menschen, die nach Verbüßung einer Haftstrafe weiterhin als gefährlich gelten – Menschen, denen Gutachter zutrauen, auch erneut schwerste Straftaten wie Mord oder Vergewaltigung zu begehen. Zwei grundlegende Prinzipien des Zusammenlebens in einer Demokratie stehen sich hier gegenüber und müssen gegeneinander abgewogen werden: das Recht eines Straftäters auf Freiheit nach der Strafhaft, noch dazu verbunden mit dem Anspruch auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft, und auf der anderen Seite der Schutz der Allgemeinheit vor einem potenziellen Mörder und Vergewaltiger.

Die Diskussion der vergangenen Jahre über die Sicherungsverwahrung als ein wirksames Mittel zum Schutz der Bevölkerung und die europäische Rechtsprechung, die die Freiheitsrechte ehemaliger Gefangener massiv gestärkt und die nachträgliche Sicherungsverwahrung verboten hat, beweist im Grunde nur, auf welch schmalem Grat sich Richter, Staatsanwälte und auch Politiker bewegen.

Auf der Schnittstelle zwischen Freiheit und Gefängnis kann in Hamburg – wie in mehreren anderen Ländern auch – die elektronische Fußfessel zum Einsatz kommen. Die technische Apparatur von der Größe einer Sportuhr soll die lückenlose Überwachung des Aufenthaltsorts ihres Trägers garantieren. Die Fußfessel ermöglicht ein Leben außerhalb von Gefängnismauern und schlägt doch Alarm, wenn sich ein potenzieller Wiederholungstäter zum Beispiel dem Wohnort oder dem Arbeitsplatz eines früheren Opfers nähert. Das klingt auf den ersten Blick vielversprechend.

Die jetzt bekannt gewordenen gravierenden Sicherheitsmängel bei einem Hamburger Fall offenbaren jedoch vor allem eines: Die elektronische Fußfessel suggeriert Scheinsicherheit – und das ist bei der Klientel, um die es geht, ausgesprochen gefährlich. Mehr noch: Wenn ein Sexualstraftäter, wie sich jetzt herausstellt, vielfach, also im Grunde systematisch, seine Fußfessel einfach nicht aufgeladen hat und dadurch nicht mehr auffindbar für die Polizei war, dann ist der Anspruch der lückenlosen Überwachung komplett gescheitert.

Warum dieser Zustand offensichtlich über Monate andauerte, ohne dass der Mann seiner Auflage nachkam, eine einsatzbereite Fußfessel zu tragen, wird noch zu klären sein. Doch schon jetzt dürfte der Schaden für die Akzeptanz unseres Rechtssystems in der Bevölkerung immens sein. Allein die Vorstellung, dass die zuständige Polizeidienststelle mit einem Ladegerät für den Fall ausgestattet wurde, dass sie den Mann trotz entladener Fußfessel doch einmal erwischt, zeigt die ganze Hilflosigkeit.

Hamburgs Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) zählte von Beginn an zu den Befürwortern der elektronischen Überwachung und hat nach ihrem Amtsantritt schnell für deren Einführung gesorgt. Glücklicherweise hat Schiedek nie behauptet, dass mit der Fußfessel Straftaten wirklich verhindert werden können. Aber die SPD-Politikerin hat darauf hingewiesen, dass das Entdeckungsrisiko ungleich größer sei und die Apparatur insofern abschreckende Wirkung entfalten könne. Im vorliegenden Fall kann davon keine Rede sein.

Der Senat war beim Start des Projekts vor zweieinhalb Jahren davon ausgegangen, dass jährlich rund 20 Ex-Häftlinge für die Fußfessel in Betracht kommen würden. Dass es aktuell nur einen Fall gibt und die Zahlen auch vorher nicht wesentlich höher waren, ist ein Hinweis darauf, dass in der Justiz eine gewisse Ernüchterung hinsichtlich der Wirksamkeit dieses Instruments eingekehrt ist.

Der SPD-Senat muss angesichts der offensichtlich skandalösen Vorgänge einen entscheidenden Schritt weitergehen und auf den Einsatz der Fußfessel grundsätzlich verzichten.