Die Verkehrsbehinderungen schüren Zweifel am „ordentlichen Regieren“ des Senats

Vermutlich ist Olaf Scholz froh, dass am übernächsten Sonntag in Hamburg nur die Parlamente für Europa und die Bezirke gewählt werden. Bis zur Bürgerschaftswahl sind es noch neun Monate – und bis dahin, so muss die SPD hoffen, fließt der Verkehr wieder flüssiger. Seit einigen Wochen liegt in Hamburg ein Thema auf der Straße – der Dauerstau. Am Montag ging im Westen nichts mehr, am Dienstag waren die Verkehrsadern rund um die Alster verstopft. Und mit jeder weiteren Minute, die Hamburger mit ihren Autos stehen, wird das Problem dringlicher. Je länger die Verkehrshinweise im Rundfunk werden, je größer die Schlagzeilen auf dem Boulevard, desto alarmierender für den Senat. Das gute Regieren, das Olaf Scholz versprochen hat, droht ausgerechnet in den Stoßzeiten der Metropole ein gefährlicher Praxistest, wenn nicht der Crash-Test.

Dabei kann der SPD-Senat für viele der Behinderungen nichts – wenn die Aufräumarbeiten für den Hafengeburtstag mit einem monströsen Regentief zusammenfallen, oder an anderer Stelle ein Verkehrsunfall eine zentrale Kreuzung blockiert, ist das höhere Gewalt. Wenig Einfluss haben die Politiker auch auf die Sanierungsarbeiten im Elbtunnel oder den Beginn der Bauarbeiten für den A-7-Deckel. Aber wenn die Wähler die Wahrnehmung bekommen, die Stadt selbst verstärke das Stauproblem und koordiniere die Baustellen unzureichend, wird jeder Superstau schnell zum politischen GAU.

Nun rächt sich, dass das Busbeschleunigungsprogramm, das niemand so recht wollte, zum Mittel der Verkehrspolitik wurde. Wenn wie derzeit gleich auf mehreren Einfallstraßen der Asphalt aufgerissen wird, damit eines Tages Busse ein paar Minuten schneller fahren können, wachsen grundsätzliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Verkehrspolitik.

Unübersichtliche Verkehrsführungen und bizarre Kreisel mehren die Skepsis. So kann sich die öffentliche Wahrnehmung von der Wirklichkeit zunehmend entfernen – gerade das darf den Senat unruhig stimmen.

Dabei sind viele Baustellen in Wahrheit weniger Ärgernis als vielmehr Grund zur Freude: Endlich wird wieder an vielen Orten in die Infrastruktur investiert. Über Jahrzehnte hielten Politiker es für eine clevere Idee, Geld für den Bau von Straßen, Schienen und Wasserwegen in die Sozialpolitik umzuleiten. Während sich Geschenke für die Wähler meist sofort auszahlen, wirken die Einsparungen bei der Infrastruktur erst mit Verzögerung – und treffen damit erst eine spätere Politikergeneration.

Preisbereinigt haben sich die Verkehrsinvestitionen nach einer Berechnung von TransCare seit 1982 halbiert. Diese Finanzpolitik auf Kosten der Zukunft ist seit Helmut Kohls Zeiten üblich und beginnt sich erst jetzt langsam zu ändern. Es gehört auch zur Wahrheit, dass Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz einer der Fürsprecher für mehr Investitionen in die Infrastruktur war.

Dem SPD-Politiker bleibt derzeit wenig übrig, als um Verständnis zu werben. So unsinnig und überteuert das Busbeschleunigungsprogramm mit seinen 259 Millionen Euro auch erscheint, kurzfristig hat der Senat kaum eine Alternative. Der nötige Masterplan Verkehr der wachsenden Stadt Hamburg wird frühestens in einer Dekade fruchten, jede U-, S- oder Stadtbahn noch Jahre auf sich warten lassen. Auch das Fahrrad, so sinnvoll der rasche Ausbau der Velorouten auch ist, wird Hamburgs Verkehr nicht dauerhaft verflüssigen – denn beim nächsten Regentief sitzen viele Radler wieder hinterm Steuer oder stehen mit dem Linienbus im Stau. So lange muss bei allen die Erkenntnis reifen, dass Verkehrsbehinderungen keine Verschwörung finsterer Mächte sind, sondern das Ergebnis vieler individueller Entscheidungen: Wir stehen nicht im Stau, wir sind der Stau.