Die katholische Kirche braucht Reformer wie den neuen Sprecher der Bischofskonferenz

Die katholische Kirche in Deutschland hat ein neues Gesicht – das von Kardinal Reinhard Marx, dem neuen Sprecher der Bischofskonferenz. Er wird nun verstärkt in der Öffentlichkeit seinen Kopf hinhalten müssen, wenn die Widersprüche zwischen christlicher Lehre und der kirchlichen Praxis mal wieder offensichtlich werden. So wie zuletzt bei den undurchsichtigen und von Unwahrheiten begleiteten Machenschaften beim Bau des Limburger Bischofssitzes oder den Missbrauchsfällen, deren Dimension schaudern lässt.

Missstände oder Widerspruch auch aus den eigenen Reihen bringen Marx nicht aus dem Konzept. Sein forsches Auftreten sichert ihm Punkte in Talkshow-Runden und hat dem gebürtigen Westfalen den Respekt der Bayern in seinem Erzbistum München eingebracht. Aber manche Altbischöfe fühlen sich gerade dadurch irritiert.

Das war wohl der Grund, warum der jetzt erst im vierten Wahlgang nur knapp Gekürte nicht schon vor sechs Jahren zum Nachfolger des beliebten Karl Lehmann bestimmt worden war. Damals galt Marx noch als Günstling des ultrakonservativen Kölner Kardinals Joachim Meisner. Der ist seit zwei Wochen im Ruhestand, Marx dagegen auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Kirchenkarriere.

Das zwischen den beiden exponierten Kirchenmännern mittlerweile deutlich abgekühlte Verhältnis wie auch das knappe Votum für Marx zeigen, wie tief verunsichert die deutschen Bischöfe sind. Ihnen fehlt jede Strategie, um vereint auf die großen Herausforderungen zu reagieren. Statt dem Priestermangel zum Beispiel mit mehr Verantwortung für nicht priesterliche Kräfte zu begegnen, krempeln sie überschaubare Gemeinden hektisch zu unübersichtlichen Riesenpfarreien um, wie derzeit im Erzbistum Hamburg, und verstärken damit noch die Abkehr der Gläubigen von ihrer Kirche.

Wie erstarrt die katholische Kirche in Deutschland ist, belegen auch die überschwänglichen Erwartungen, die hierzulande an das Wirken des Papstes Franziskus geknüpft werden. Jedenfalls vom Kirchenvolk selbst. Die Bischöfe schauen eher wie gebannt in abwartender Haltung, was da noch alles aus Rom auf sie zukommt. So gibt es Signale, dass der Papst „vom anderen Ende der Welt“, wie er sich nach seiner Wahl selbst vorgestellt hatte, den einzelnen Ortskirchen mehr Spielräume als bisher zugesteht. Den deutschen Bischöfen wird dies aber nichts nützen, wenn sie selbst nicht genau wissen, was sie eigentlich wollen.

Kardinal Marx als neuer Sprecher könnte sie aus diesem Dilemma herausführen. Ihm ist zuzutrauen, dass er auch ungewohnte Wege geht und sinnvolle Veränderungen vorantreibt, ohne den Skeptikern in den eigenen Reihen vor den Kopf zu stoßen. Ein Beispiel: Die Amtskirche tut sich schwer, wie sie Geschiedene, die wieder geheiratet haben, behandeln soll. Nach der reinen Lehre wird ihnen der Zugang zu den Sakramenten verweigert. Marx sieht hier Erneuerungsbedarf. „Wir können diese Menschen nicht wie Christen zweiter Klasse behandeln“, hat er kürzlich gesagt.

Wenn er dort praktikable Neuerungen sieht, muss er sich dabei von höchster Stelle in Rom unterstützt fühlen. Denn Marx gehört zum Rat der acht Kardinäle, der Papst Franziskus auch bei der Reform der Kurie, der römischen Zentralverwaltung, berät. Seine Stimme hat also Gewicht. Zu wünschen wäre, dass ihm ein Aufbruch gelingt. Und dass sich dieser Aufbruch auch in den Besetzungen der momentan vier verwaisten Bischofssitze niederschlägt. Noch nicht mitgerechnet das Erzbistum Hamburg, das einen neuen Würdenträger an der Spitze braucht, sobald der Papst, wie erwartet, noch vor Ostern den Rücktritt von Bischof Werner Thissen annimmt. Ein Nachfolger vom Format Marx wäre ein Segen.